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Auch in den zunehmend wettbewerbsintensiven Märkten Asiens kommt es oft darauf an, den Wettbewerbern den einen oder anderen technologischen Schritt voraus zu sein. Allerdings sind Produktneuerungen kein Selbstzweck, sondern müssen auf die spezifischen Bedürfnisse und (beschränkten) Möglichkeiten potenzieller Abnehmer Rücksicht nehmen. Dies verlangt den Unternehmen einen nicht einfachen Spagat zwischen Erfindergeist und betriebswirtschaftlichem Denken ab. Worauf es dabei im Einzelnen ankommt, erklären die beiden Innovationsforscher Prof. Dr. Cornelius Herstatt und Dr. Rajnish Tiwari von der Technischen Universität Hamburg-Harburg im Interview.
Asien Kurier: Welche generelle Bedeutung haben Innovationen im Auslandsgeschäft deutscher Unternehmen?
Cornelius Herstatt: Die Marke "Made in Germany" steht nicht nur für Qualität, sondern auch für hohe Innovationskraft. Gemäß einer aktuellen ZEW-Studie zeigt sich, dass sich vor allem grundlegende Neuerungen bzw. Marktneuheiten deutscher Unternehmen im Ausland besonders erfolgreich verkaufen. Hierbei nehmen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (je nach Branche zwischen 3 bis 10-Umsatzprozente) eine Schlüsselrolle ein, da ca. 30-50% der ausgeführten Produkte innerhalb der letzten drei bis fünf Jahre entwickelt wurden. Die starke Stellung der deutschen Industrie auf den internationalen Märkten ist somit insbesondere ihren Innovationsvorsprüngen auf zahlreichen Gebieten und weniger ihrer Fähigkeit, kostengünstige "Mainstream-Produkte" anzubieten, geschuldet.
Asien Kurier: Wie gut sind deutsche Firmen aufgestellt, um diesen Wettbewerbsvorteil langfristig weiter aufrecht halten zu können?
Cornelius Herstatt: Innovationen zu schaffen, gelingt Unternehmen hierzulande prinzipiell ganz gut. Dabei sagt man deutschen Unternehmen aber auch nach, dass sie oft besser im "Erfinden" als im "Vermarkten" sind. Untersuchungen belegen immer wieder die hohe Innovationskraft deutscher Firmen im Hochtechnologie-Segment. Dort steigt auch der Exporterfolg aufgrund hoher Marktnachfrage kontinuierlich. Etwas anders sieht es allerdings im Bereich der sog. "Mid-Tech" und gänzlich anders bei billigen Massenprodukten aus.
Rajnish Tiwari: Ferner ist auch zu beobachten, dass sich viele Unternehmen schwer tun, in den Schwellenländern jenseits der vergleichsweise kleinen Premiumsegmente Fuß zu fassen. Vor einiger Zeit berichtete "Die Welt" über die Probleme der Baubranche, deren Produkte offensichtlich "zu gut" für die Wachstumsmärkte in Asien und Südamerika sind. Diese Produkte räumen zwar Innovationspreise auf Produktmessen ab, gewinnen aber nur schwer auch tatsächliche Aufträge, da die Preise, so der Bericht, unbezahlbar hoch seien. Wir können davon ausgehen, dass diese Preissensibilität früher oder später auch in vielen Industrieländermärkten Fuß fassen wird.
Asien Kurier: Vielleicht ist es nur ein Klischee, aber es scheint, dass Ingenieure komplexe Produkte und Innovationen bevorzugen. Deren Nutzen muss Käufern und Konsumenten oft erst in intensiver Vertriebs- und Marketingarbeit erklärt werden. Gerade aus den asiatischen Märkten hört man aber, dass dort Wert auf einfach handhabbare Produkte gelegt wird. Das Stichwort lautet hier "frugale Innovationen". Welche Idee steckt dahinter?
Dr. Rajnish Tiwari: Ich glaube, es geht weniger um "Komplexität" per se, wenn Sie Produkte für Märkte in den Schwellenländern entwickeln. Wichtig ist vielmehr, dass sie grundsätzlich nur Funktionalitäten beinhalten, die tatsächlich gebraucht werden und die eine intuitive, einfache Bedienung zulassen. Im Infrastrukturbereich können Sie durchaus auch in Asien komplexe Produkte antreffen. Auch die Raumfahrt in China oder Indien ist ein Beispiel für hochtechnologische aber gleichzeitig deutlich günstigere Lösungen. Die sog. "frugalen" Innovationen können Sie eigentlich in allen Lebensbereichen antreffen.
Cornelius Herstatt: Wenn man eine einzige Branche als Beispiel aufführen müsste, könnte man vielleicht auf das Gesundheitswesen hinweisen. Hier sehen wir tagtäglich Innovationen, die die Kosten der medizinischen Behandlung um ein Vielfaches senken. Diese Produkte sind, was ihr "Innenleben" betrifft, durchaus komplex (z.B. tragbare EKG-Geräte), bestechen aber durch sehr einfache, intuitive Anwendbarkeit, "Stromunabhängigkeit" (durch Batteriebetrieb), Robustheit und einen im Vergleich zu stationären Produkten deutlich abgesenkten Preis. Diese frugalen Innovationen sind u.a. deswegen erfolgreich, weil sie es ermöglichen, Infrastrukturdefizite (z.B. die fehlende Stromversorgung in ländlichen Gebieten) zu umgehen oder aber auch ganz neue Kundenschichten zu erreichen, die aufgrund der hohen Preise bisher nicht zu den Nutzern dieser Produkte gehörten.
Asien Kurier: Welche Unternehmen sind die Vorreiter bei derartigen primär auf Funktionalität und die spezifischen Kundenbelange ausgerichteten Innovationen? Was zeichnet sie aus, und was können andere Unternehmen von ihnen lernen?
Dr. Rajnish Tiwari: Ohne hier einzelne Namen, schon gar nicht in exklusiven Kategorien, nennen zu wollen, können wir sagen, dass bisher tendenziell größere Unternehmen (z.B. GE Healthcare, Siemens oder Tata) diese Chancen für sich entdeckt und entsprechende Programme aufgesetzt haben. Aber auch mittelständische Unternehmen (z.B. Claas in Norddeutschland) gehören zu den Vorreitern für frugale Innovationen. Diese Unternehmen, ob groß oder klein, arbeiten auffällig markt- und kundenorientiert. Sie scheinen drei Gemeinsamkeiten zu teilen: (a) sie haben die hohe strategische Bedeutung der großen Schwellenländer in Asien, insbesondere China, Indien und Indonesien, jenseits reiner Lippenbekenntnisse verinnerlicht, (b) sie wollen den möglichen Ausstrahlungseffekt dieser Länder ("Leadmarkt-Potenzial") weltweit aktiv nutzen, und (c) ihr Management hat sich von dem Dogma befreit, Innovationszuständigkeiten als eine Art Null-Summen-Spiel zwischen den Tochtergesellschaften zu sehen. Was wirklich auffällt, ist, dass alle uns bekannten erfolgreichen frugalen Innovatoren sich in offenen globalen Innovationsnetzwerken engagieren.
Asien Kurier: Wie können Unternehmen solche frugalen Innovationen befördern und was ist dabei an Kenntnissen und Kompetenzen im Detail erforderlich?
Cornelius Herstatt: Ich denke von zentraler Bedeutung ist zunächst, dass ein Unternehmen für sich Chancen frugaler Lösungen in den Zielmärkten der Schwellenländer identifiziert. Hierzu ist es erforderlich, sich in diesen Ländern selbst und intensiv mit den Problemen und Bedürfnissen potenzieller Kunden auseinanderzusetzen. Das bedeutet, dass man � Entwicklungsingenieure und Marktforscher � sich vor Ort umfassend mit dem Umfeld und dem Einsatzgebiet möglicher Produkt-/Servicelösungen unter Anwendung "intelligenter" Methoden (z.B. teilnehmende Beobachtung) beschäftigt. Feld-Zugang und Einsatz lokaler Unterstützung potenzieller Entwicklungs-/Vermarktungspartner sind eine weitere wichtige Voraussetzung, es sei denn, das Unternehmen ist vor Ort bereits gut etabliert. Aus der Entfernung heraus ist das nicht zu leisten und insofern ist auch nicht "jedes" Unternehmen hierzu geeignet, zumindest nicht ad hoc.
Asien Kurier: Mit dem Begriff Innovationen werden vor allem neue Produkte verbunden. Im B2B-Geschäft jedoch nimmt der Anteil von Dienstleistungen an Umsätzen und Erträgen der Unternehmen stetig zu. Gibt es analog auch so etwas wie frugale Serviceinnovationen? Wenn ja, welche Beispiele können Sie uns nennen?
Dr. Rajnish Tiwari: Ja, auch wenn wir nicht so viele explizite Berichte darüber lesen, gibt es jede Menge Innovationen im Dienstleistungsbereich, die sich als "frugale" Innovationen klassifizieren lassen. Denken Sie z.B. an die Handy-"Revolution" in Ländern Asiens und Afrika. Man hat eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung � auch und gerade in den schwer zugänglichen und wirtschaftlich schwach aufgestellten ländlichen Regionen � mit Mobilfunk nur bewerkstelligen können, indem man sehr innovative Geschäftsmodelle (z.B. mit den Wettbewerbern gemeinsam genutzte Infrastruktur, hohe Integration externer Kompetenzen in die eigenen Wertschöpfungsketten und unkonventionelle Vertriebsmodelle) entwickelt und die Nutzungskosten für den Endverbraucher radikal gesenkt hat. So ist dann wiederum ein ganz neues Spektrum an Dienstleistungen (z.B. Mobile Banking, Mobile Entertainment, Mobile Games) entstanden, das auf die eigentlichen Defizite (geringe PC-Penetration, fehlender stationärer Internetzugang) baut und diese als Inspirationsquelle nutzt.
Cornelius Herstatt: Sie können auch einige Beispiele in der Automobilindustrie finden, wo immer mehr Zulieferer und Ingenieursdienstleister als Produktentwickler in den Innovationsprozess mit eingebunden werden, um die Effizienz und Effektivität der Komponenten bei gleichzeitiger Reduktion der eigenen Entwicklungskosten zu steigern. Diese externen Dienstleister sind das Geheimnis hinter den bekannten frugalen Innovationen aus der Automobilindustrie, etwa beim Tata Nano oder Maruti Suzuki.
Asien Kurier: Nicht nur in Asien wandeln sich die Märkte kontinuierlich. Wie schätzen Sie das Potenzial frugaler Innovationen für Europa und Deutschland ein?
Dr. Rajnish Tiwari: Das Potenzial frugaler Innovationen schätzen wir für Europa und Deutschland mittel- bis längerfristig hoch ein. Die Gründe hierfür liegen eigentlich an der Hand: Die Wirtschaftslage für viele Gesellschaftsschichten aber auch für institutionelle Käufer (z.B. Krankenhäuser und die öffentliche Hand) bleibt angespannt, so dass der Kostendruck mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eher zu- als abnimmt. Hinzu kommt der Anreiz für westliche Unternehmen, mit ihren in den Schwellenländern bereits vermarkteten frugalen Lösungen zusätzliche (preissensiblere) Kundenschichten in Europa zu erreichen. Auch Mitbewerber aus den "Emerging Markets" erhöhen den Wettbewerbsdruck, da der Kunde "frugalere" Produkte ohnehin bereits kennen lernt. Relevant wird aber auch, dass für die Produktion wichtige Rohstoffe (wie Seltene Erden) angesichts zunehmenden Konsums in den Schwellenländern immer teurer werden, so dass der Effizienzdruck bei der Produktgestaltung dazu führen dürfte, die "nice-to-have" aber kaum verwendeten Funktionalitäten stärker in Frage zu stellen und kritisch zu überdenken. Nicht zuletzt gibt es zunehmend Bedenken wegen der Umweltbelastung, weshalb viele Kunden bewusst auf "einfachere" und genügsame Produkte zurückgreifen. Der Markterfolg von Produkten wie Logan Dacia belegt diese Thesen. Auch im Gesundheitswesen lassen sich Beispiele finden, die auf ein hohes Potenzial für Produkte und Dienstleistungen hindeuten, die erschwinglich sind und gleichzeitig den Qualitätsanforderungen genügen.
Herr Prof. Dr. Herstatt, Herr Dr. Tiwari, wir danken Ihnen herzlich für das Interview.
Kontakt
Prof. Dr. Cornelius Herstatt / Dr. Rajnish Tiwari
Center for Frugal Innovation
c/o Institute for technology and Innovation Management
TU Hamburg-Harburg
Schwarzenbergstr. 95
21073 Hamburg
Tel.: +49 40 42878 3778/3776
Fax: +49 40 42878 2867
Email: [email protected], [email protected]
Web: www.frugal-innovation.net / www.tuhh.de/tim