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BERLIN. China ist weit entfernt. Andererseits locken dort weiterhin lukrative Absatz- und Beschaffungsmärkte. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein Bedarf an nicht ganz einfachen Transportvorgängen: Was sich mit einem einzigen Mausklick ordern lässt, muss über Tausende Kilometer mühsam herangeholt werden. Dabei wird die Schwerstarbeit der Globalisierung verrichtet. Die Eröffnung weiterer Langstrecken-Güterzugverbindungen nach Europa könnte dem Asien-Geschäft einige neue Impulse verleihen. Hiervon dürften auch Regionen in West- und Zentralchina profitieren. Dem etablierten Schiffstransport wird die Bahn aber nur punktuell Konkurrenz machen können.
Es war wohl ein kleines Abenteuer, wie es in Zeiten des transkontinentalen Flugverkehrs selten geworden ist: Mitte Juli machte sich ein Güterzug von der nordchinesischen Industriestadt Zhengzhou auf nach Hamburg. Gut 15 Tage später, Anfang August, erreichte der mit 51 Containern beladene und 0,6 Kilometer lange Güterzug schließlich den Umschlagbahnhof Hamburg-Billwerder. Prominenter Besuch unterstrich die Bedeutung dieser Jungfernfahrt. Neben Bahnchef Grube war auch der Bürgermeister von Zhengzhou extra an die Elbe gereist. Ganz offenbar handelte es sich hierbei um weit mehr als einen rein logistischen Vorgang. Auf seiner Reise von Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan, hat der Zug stattliche 10.214 Kilometer hinter sich gebracht und dabei die Länder Kasachstan, Russland, Weißrussland und Polen durchquert. Dabei war diese Fahrt keineswegs ein einmaliges Experiment. Künftig sollen weitere, regelmäßige Cargo-Fahrten von China nach Deutschland durchgeführt werden. Bis Ende 2013 stehen noch insgesamt sechs solcher Touren mit einem Gesamttransportwert von 100 Millionen US$ auf dem Plan. Ab 2014 sollen es dann jährlich insgesamt 50 Züge sein, die Waren in einem Gesamtwert von 750 Millionen Euro zwischen beiden Wirtschaftsmächten transportieren sollen. Der Gütertransport von China nach Deutschland via Land ist allerdings keine Novität. Bereits seit 2011 gibt es eine direkte, wöchentliche Zugverbindung von China nach Deutschland. Mehr als 300 Güterzüge sind seitdem von und nach China gefahren. So gesehen stellt sich die Frage, warum nun der Verbindung Zhengzhou-Hamburg eine solch außerordentliche Bedeutung beigemessen wird.
Schneller und günstiger
Die spezifischen Vorzüge von Langstrecken-Güterzugverbindungen sind prinzipiell bekannt. Ein zentraler Vorteil besteht etwa in der beträchtlichen Zeitersparnis, erklärt Karl-Heinz Emberger, der für Zentral- und Nordchina zuständige Geschäftsführer von DB Schenker (China) Ltd. Ungefähr die Hälfte der Transportzeit entfällt � um ganze 15 Tage ist der Zug früher am Ziel als Containerschiffe von den chinesischen Häfen nach Bremerhaven oder Hamburg üblicherweise benötigen. Ein weiterer Pluspunkt sind die erheblich geringeren Transportkosten: Im Vergleich zur teuren Luftfracht ist der Zugtransport um 80 Prozent günstiger. Die Besonderheit der Zhengzhou-Verbindung besteht darüber hinaus in dem Umstand, dass die Acht-Millionen-Metropole bereits ein zentraler Transport-Hub für Zentralchina und die dortigen Produktionsstätten ist und diese Funktion absehbar wohl noch weiter wird ausbauen können. Denn Zhengzhou ist nicht nur ein Umschlagplatz für andere chinesische Regionen und verfügt über den größten Güter- und Rangierbahnhof in ganz Asien. Die Region selbst soll nach den Vorstellungen der chinesischen Planer zielgerichtet zur nächsten High-Tech Produktionsregion des Landes entwickelt werden. Insofern handelt es sich hierbei um ein dezidiert wirtschaftspolitisches Projekt von strategischer Relevanz. Durch den direkten Transport nach Europa können die einzelnen Produktionsketten fester als bisher miteinander verknüpft und damit potenzielle Unterbrechungen noch besser vermieden werden.
Chinas Hinterland im Fokus
Diese Tatsache hat maßgebliche Konsequenzen auch für die regionale Konzentration der chinesischen Volkswirtschaft. Insgesamt dürfte der ohnehin voranschreitende Prozess der Verlagerung von produktionsintensiven Industrien und Fertigungsanlagen ins chinesische Hinterland durch die neuen Güterzugverbindungen einen zusätzlichen Schub erhalten und für eine größere Unabhängigkeit von den bisherigen Produktionsclustern sorgen. Die Motive hierfür sind evident. In Chinas Hinterland sind die Grundstückpreise und die Löhne deutlich niedriger, wodurch sich die Produktionskosten insgesamt geringer halten lassen als in den entwickelten Küstenprovinzen. Interessant ist, dass für die neue Verbindung von Zhengzhou eine direkte Kooperation zwischen der DB Schenker mit der Stadt- und Hafenverwaltung der Stadt (Zhengzhou International Inland Port Development Co Ltd.) geschlossen wurde. Außerhalb Chinas übernimmt DB Schenker die Logistik. Die erste Fahrt wurde durch die Trans-Eurasia Logistics GmbH, einem Gemeinschaftsunternehmen der DB Schenker und der russischen Eisenbahnen, in Berlin abgewickelt. Aber alles in allem sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und China inzwischen so intensiv, dass � neben der Schiene � nach weiteren Transportalternativen gesucht wird, um die Transportzeit weiter reduzieren und eine möglichst rasche Verfügbarkeit der Waren sicherstellen zu können. Das ist aber leichter gesagt, als getan.
Durchfahrt nur im Sommer
Eine gewisse alternative Option zur Verschiffung durch das Mittelmeer ist etwa die jüngst eröffnete Nordost-Passage durch arktische Gewässer. Vor kurzem startete der chinesische Cosco-Frachter �Yong Sheng� mit einer Ladung von 19.000 Tonnen in Richtung Europa. Die 5.400 Kilometer lange Strecke führt dabei nördlich über das russische Festland und durch die Beringsee. Die Strecke von der nordöstlich gelegenen chinesischen Hafenstadt Dalian bis nach Rotterdam sollen die neuen Frachter in nur 35 statt zuvor 48 Tagen zurücklegen. Die Ankunft des Pionierschiffes wird am 11. September in Rotterdam erwartet. Der gravierende Nachteil dieser Route ist allerdings, dass sie nur in den Sommermonaten befahrbar und selbst dann nicht gänzlich frei von Eisblöcken ist. Je nach Wetterlage müssen Eisbrecher den Frachter begleiten, um den Weg frei zu bahnen. Aufgrund dieser Einschränkungen ist das Potenzial dieser Route nach Expertenmeinung verständlicherweise nicht so groß, dass sie etwa Grundsätzliches an den eingefahrenen euro-chinesischen Transportstrukturen ändern wird. Sie dürfte insofern eher als Ergänzung zu den etablierten Transportwegen fungieren. Selbst in einer Acht-Jahres-Perspektive wird lediglich mit einem Frachtpotenzial von 15 Millionen Tonnen gerechnet. Verglichen mit den 929 Millionen Tonnen Fracht und 17.000 Schiffen, die jährlich durch den Suezkanal gebracht werden, wird die Nordost-Passage wohl nur zu einem interessanten Nebenarm der Globalisierungsströme avancieren.
Aber auch die Zhengzhou-Strecke dürfte in den Logistikplänen der meisten europäischen Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass sich die Vorteile des Zhengzhou-Zugs gegenüber den üblichen Schiffstransporten ein Stück weit relativiert haben, seit in den letzten Monaten die Preise für Containerfracht spürbar gesunken sind. Für den Transport eines 20-Fuß-Containers von China nach Nordeuropa müssen derzeit nur circa 820 US$ gezahlt werden. Zur Hochzeit in 2012 waren es 2.000 US$ und Anfang 2013 immerhin noch 1.200 US$. Sieben der 30 größten Schiffsunternehmen haben in 2012 Verluste erlitten und versuchen, abgewanderte Kunden über niedrige Preise zurück zu gewinnen. Unter dem Strich dürfte die Zhengzhou-Strecke daher eher zur Abdeckung kurzfristiger Produktionsspitzen und zur Sicherstellung eines garantierten Nachschubs aus China nach Deutschland genutzt werden. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei um ein spannendes Projekt, das sicher seine Marktlücke finden wird.