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Lange wurde gerätselt, auf welche Weise China versuchen wird, seine regionale und globale Stellung auszubauen. Ankündigungen ambitiöser Infrastrukturprojekte und die Schaffung neuer Finanzinstitutionen lassen erahnen, welch große Pläne man in Beijing hat. Hinter dem Slogan der "Neuen Seidenstraße" verbirgt sich eine Vielzahl von Ideen, Initiativen und Maßnahmen. Vieles davon bleibt vorerst vage, manches ist altbekannt und einiges wird das Konzeptstadium wohl nicht verlassen. Dennoch geht hier Historisches vonstatten, das auch für Europa Folgen haben wird.
In der Volksrepublik hat man bekanntlich seit jeher ein ausgeprägtes Faible für epochale Mammutprojekte mit blumig-schillernden Namen. Bereits im Oktober 2013 hat Chinas Präsident Xi Jinping damit begonnen, die beiden Schlagworte vom "Silk Road Economic Belt" und der "21st Century Maritime Silk Road" in der Öffentlichkeit zu streuen. Im Kern handelt es sich dabei um einen langfristigen und groß angelegten Ausbau der Infrastruktur in Asien, der einer noch tieferen wirtschaftlichen Kooperation den Weg bahnen soll. Dabei ist generell auch eine Erweiterung nach Europa angedacht, die mehr ist als eine bloße Reminiszenz an das historische Seidenstraßen-Original. Eine engere Verknüpfung mit anderen asiatischen Volkswirtschaften � vor allem in Südost- und Zentralasien � hat aus chinesischer Sicht einen doppelten Nutzen: Einerseits kann man den Handel ausweiten und neue Investitionsprojekte ins Leben rufen. Zum anderen könnte die Volksrepublik im Sinne einer "economic diplomacy" auch ihren politischen Einfluss weiter ausdehnen.
Chinas Expansionsambitionen können dabei aber auch als ein eher defensiver Versuch gelesen werden, dem Vorpreschen der USA im Rahmen der Trans-Pacific Partnership (TPP), die ja eine mehr oder weniger offene anti-chinesische Stoßrichtung besitzt, etwas entgegenzusetzen. Analysten der Geopolitik prognostizieren eine sich allgemein verschärfende weltpolitische Blockbildung in den kommenden Jahren, wobei die USA wohl noch einiges unternehmen werden, um den chinesischen Aufstieg einzudämmen. Hierauf wird China mit Gegenmaßnahmen reagieren und es tut dies bereits. Ferner geht man sicher auch nicht fehl in der Annahme, dass mit den avisierten Infrastrukturprojekten neue Betätigungs- und Absatzfelder für die etwa in der Stahlindustrie von massiven Überkapazitäten geplagten chinesischen Staatskonzerne geschaffen werden sollen.
Work in Progress
Was den konkreten Verlauf der beiden Seidenstraßen betrifft, die unter dem Label "One Belt, One Road" gebündelt werden, gibt es bislang offenbar nur grobe Vorstellungen. Die Rede ist von jeweils 14 Haltepunkten, wobei hiervon insgesamt zehn chinesische Städte sind. Zu den außerhalb der Volksrepublik gelegenen Stationen gehören auf der Landroute Almaty, Bischkek, Samarkand, Duschanbe, Teheran, Istanbul, Moskau, Duisburg, Rotterdam und Venedig. Die Seeroute soll über die Häfen von Hanoi, Jakarta, Kuala Lumpur, Chittagong, Colombo, Nairobi und Athen verlaufen. Die Konsequenzen, die diese Routen für Europa und seine Firmen hätten, sind schwierig einzuschätzen.
Einmal würden durch sie die logistischen Verbindungen weiter verbessert, was einen noch intensiveren europäisch-chinesischen Austausch befördern könnte. Auf der anderen Seite könnte ein engeres Zusammenwachsen von China mit seinen Nachbarn die innerasiatische Dynamik erhöhen und China damit wirtschaftlich unabhängiger vom Westen machen.
Aber soweit ist es noch nicht. Dass es sich hierbei um unfertige Entwürfe handelt, zeigt etwa der Umstand, dass die Landstrecke nicht mit dem Plan einer Bahnstrecke von Chinas Südwest-Provinzen über Russland nach Europa übereinzustimmen scheint. Analog ist auch nicht klar, wie das Vorhaben der "Strategie der Perlenkette" zur Projektion von "naval power" im Indischen Ozean mit den Häfen Gwadar in Pakistan und Kyaukpyu in Myanmar in die Überlegungen hineinpasst.
Diese Unstimmigkeiten legen nahe, dass es sich bei dem Seidenstraßen-Ansatz im Moment primär um den Versuch einer effektvollen Kommunikationsstrategie handelt, bei dem einem Bündel aus verschiedenen bilateralen und regionalen Initiativen eine inhaltliche Klammer verpasst werden soll. Das heißt natürlich nicht, dass es sich hierbei um heiße Luft handeln würde. Ganz im Gegenteil, schon seit längerer Zeit macht China für diese Projekte enorme Summen locker � beim APEC-Gipfel November 2014 hat Xi etwa einen Infrastrukturfonds in Höhe von 40 Milliarden US$ angekündigt.
Es ist durchaus möglich, dass sich über die Zeit ein kohärenter Gesamtansatz herausbildet. Andererseits könnte es auch sein, dass sich die verschiedenen Motivlagen der chinesischen Führung so überlagern, dass am Ende nur loses Stückwerk herauskommt. Denn bei all den genannten Beweggründen geht es den Chinesen auch darum, peu á peu an einer alternativen Weltordnung zu bauen, welche die etablierte westliche Variante herausfordert. Hinzu kommt, dass die chinesische Politik im Endeffekt nur einem einzigen Zweck dient: den Fortbestand der Herrschaft der Kommunistischen Partei zu sichern. Es darf mit guten Gründen bezweifelt werden, dass die chinesische Führung vor diesem Hintergrund genug Umsicht aufbringen wird, die für die Etablierung einer nachhaltigen wirtschaftlichen und politischen Ordnung in Asien nötig ist.
Nachhaltige Entwicklungsfinanzierung?
Die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit den USA zeigt sich aktuell vor allem am Gerangel um die in den Startlöchern stehende Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). Deren Mandat soll in der Initiierung von Infrastrukturmaßnahmen (Häfen, Straßen, Energieprojekte) in ärmeren asiatischen Staaten liegen. Damit wird das Wirken der von den USA dominierten Weltbank und der japanisch beeinflussten Asian Development Bank (ADB) direkt herausgefordert.
Wenig überraschend haben die Amerikaner eine Teilnahme von Beginn an mit der Begründung unzureichender Standards in puncto Transparenz, Kreditfähigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit abgelehnt. Bemerkenswert ist, dass eine Reihe westlicher Staaten wie Australien und Neuseeland aber auch der USA-Partner Südkorea trotz US-Gegenwehr ihre Bereitschaft zum Beitritt erklärt haben. Zuletzt haben sich auch Großbritannien Frankreich, Italien und die in Fragen der Geostrategie etwas unbedarften Deutschen entschlossen, sich der AIIB anzuschließen. Die Begründung, die unisono gegeben wurde, lautete, dass man lieber von innen versuchen möchte, den Kurs der AIIB mitzubestimmen, als diesen von außen folgenlos zu kritisieren. Man darf gespannt sein, wie ausgerechnet die Bundesregierung, die seit Jahren keine nachvollziehbare Außenpolitik gegenüber China zu konzipieren in der Lage ist, die Chinesen zu mehr Transparenz und Verantwortlichkeit drängen will. Wie arglos Berlin im Verhältnis zu Beijing ist, zeigt sich daran, dass man dort felsenfest an eine "special relationship" mit China glaubt. Man kann sich das heitere Gelächter in Fernost über die Deutschen gut vorstellen.
Dominanz und Widerstand
Bei aller berechtigten Kritik an Weltbank und ADB wird man diesen Institutionen nicht absprechen können, im Kern eine echte sozio-ökonomische Entwicklung in den ärmeren Ländern anzustreben. Dass dies so auch die Intention der Volksrepublik ist, darf man hingegen bezweifeln. Die AIIB wie auch andere Projekte sollen lediglich der Durchsetzung chinesischer Hegemonialinteressen dienen. Aber Hegemonie ist eben mehr als Diktate und das Gewähren von Hilfsleistungen nach Gutdünken. Sie muss sich auf eine grundsätzliche Akzeptanz der Führungsmacht stützen. Es ist schwer vorstellbar, dass der "chinesische Traum" wie ihn der Mao-Wiedergänger Xi Jinping träumt, bei einer größeren Anzahl von Asiaten Anklang findet. Deshalb ist auch der Vergleich mit dem Marshall-Plan der USA nach dem Zweiten Weltkrieg völlig unangebracht.
Die Amerikaner waren in der Lage, sich durch eine weitsichtige Führung feste Gefolgschaft zu sichern. China indes stößt mit seiner zunehmend aggressiver werdenden Außenpolitik die Nachbarn vor den Kopf, sodass diese zwar bereit sein mögen, chinesisches Geld zu nehmen � auf eine weitreichende Kooperation mit China werden sie sich aber gewiss nicht einlassen. Rückschritte für die chinesischen Großpläne sind nicht ausgeschlossen. Aktuell sträubt sich etwa der neue Präsident Sri Lankas, Maithripala Sirisena, das von seinem Vorgänger an China vergebene Projekt der Colombo Port City wie geplant fortzuführen.
Das weit verbreitete Misstrauen gegenüber China dürfte erst recht Vorhaben wie die "BRICS-Bank" genannte New Development Bank (NDB), bei der � dem Namen nach � Brasilien, Russland, Indien und Südafrika als Partner an Bord sind, stark belasten. Ob die NDB jemals wirklich funktionieren wird, steht in den Sternen.
Dass Indien sich chinesischen Regeln und Auflagen unterwerfen wird, kann als ausgeschlossen gelten. Hinzu kommt: Auch in China wird man die Erfahrung machen, dass es Entwicklungsprojekte gibt, die ein Fass ohne Boden sind. Zudem muss sich herausstellen, ob China auch unter den Bedingungen eines markant abgeschwächten Wirtschaftswachstums und angesichts immenser Herausforderungen im eigenen Land langfristig derartig große Summen aufbringen kann und will. Aber unabhängig von den munteren geostrategischen Planspielen der chinesischen Führung ist der Infrastrukturausbau in Asien in vollem Gange und wird den Kontinent weiter zusammenwachsen lassen. Und das zumindest ist eine gute Nachricht.
Die Titelautorin Frau Dr. Pick schreibt in diesem Text zum Verhalten der VR China und der USA ihre eigene Auffassung; die Redaktion kann dem nur teilweise zustimmen.