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Die Wirtschaftsstruktur der südchinesischen Provinz Guangdong wandelt sich: Traditionell werden in den Sonderwirtschaftszonen des "Exportpowerhouses" die Konsumgüter für die Welt gefertigt. Doch China will weg von niedriger Wertschöpfung und hoher Abhängigkeit von den Exportmärkten. Guangdong gehört zu den wirtschaftsstärksten Regionen Chinas und zu den Vorreitern der Reformagenda. Die steigenden Lohnkosten fördern neben Abwanderungen den Trend zu mehr Automatisierung.
Wie die VR China insgesamt konnte sich auch Guangdong 2014 dem schwächeren Wachstumstrend nicht entziehen. Das Bruttoinlandsprodukt der Provinz stieg real um 7,8 % - ein immerhin beachtlicher Wert, aber dennoch so langsam wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Verantwortlich dafür war unter anderem der schwächere Außenhandel: Die Exporte nahmen 2014 um lediglich 1,5% zu, die Einfuhren sanken sogar um 5,5%. Die Entwicklung des Außenhandels fiel damit deutlich schlechter aus als in Gesamtchina. Guangdong steht für knapp 28% der chinesischen Ausfuhren. Das wichtigste Ziel der Provinzregierung für 2015 ist die Stabilisierung der Beschäftigung.
Wäre die Provinz ein Land, käme sie weltweit auf Rang 15 der größten Volkswirtschaften hinter Mexiko aber vor Indonesien und der Türkei. Die Region um das Perlflussdelta ist zusammen mit dem Yangzi-Delta und Beijing die am weitentwickelteste Region Chinas. 2013 hat das BIP der Provinz die 1 Billion-US$-Schwelle überschritten, 2014 erreichte das BIP pro Kopf 10.000 US$ (zum Vergleich Deutschland: 3,8 Bill. US$).
Die Landwirtschaft nimmt in der Provinz weniger als 5% der Wirtschaftsleistung ein, während es in Gesamtchina noch 10% sind, die Industrie hat einen sinkenden Beitrag und hatte 2014 einen Anteil von 46,2%, während Dienstleistungen knapp die Hälfte ausmachten.
Das Herz der Provinz ist das Perlflussdelta, hier werden 85% des BIP erwirtschaftet. Anfang 2015 hat die Weltbank das Delta zur größten Metropolregion der Welt ernannt, mit 42 Milionen Einwohnern hat sie den Großraum Tokio überholt. Hier liegen die traditionellen Zentren der Leichtindustrie. Haushaltsgeräte, Fernseher, Bekleidung und Spielzeuge dominieren die Exporte.
Die Schwerindustrie gewinnt aber mit staatlicher Förderung an Bedeutung. Zwischen 2000 und 2013 ist der Anteil der Schwerindustrie an der Wertschöpfung von 52 auf 61% gestiegen. Zum Beispiel stieg die Autoproduktion in den vergangenen Jahren stark an, 2014 um 7,9% auf 2,2 Millionen Einheiten, davon 1,6 Millionen Pkw.
Investoren aus dem benachbarten Hongkong haben maßgeblich zur Entwicklung Guangdongs beigetragen, zwischen 1979 und 2013 kamen Direktinvestitionen in Höhe von 201 Milliarden US$ aus der Stadt und damit rund 62% der Gesamtsumme. Während in der Vergangenheit hauptsächlich in Produktionsstätten und Immobilienprojekte investiert wurde, fließt immer mehr ausländisches Geld in den Dienstleistungssektor.
Neben einer schwächeren Nachfrage auf den entwickelten Wachstumsmärkten setzen die steigenden Löhne die Provinz als traditionelles "Exportpowerhouse" Chinas unter Druck. Ab Mai 2015 sollen die Mindestlöhne wieder um 19% angehoben werden. In Shenzhen beläuft sich die Steigerung zwar "nur" auf 12,3%, mit 2.030 Renminbi (rund 320 US$) liegt der Lohn damit aber chinaweit an der Spitze.
Die Unternehmer sind gegenüber Süd- und Südostasien preislich kaum konkurrenzfähig und auch Osteuropa kommt in Reichweite. Die strengere Durchsetzung von Umweltauflagen und Arbeitsrecht zieht die Daumenschrauben weiter an.
Warum es trotzdem nicht zu einer Abwanderung im großen Stil kommt, liegt vor allem an gut etablierten Lieferketten sowie dem zunehmenden Innovationsgrad. Auch wenn viele Billiglohnproduzten der Textilindustrie nach Südasien abgewandert sind und auch Apple-Lieferant Foxconn in den westlichen Provinzen Chinas statt in Guangdong seine Fabriken vergrößert, verfolgt die Regierung seit Jahren die Strategie der industriellen Höherpositionierung und diese scheint Früchte zu tragen.
In seiner Ansprache auf dem Nationalen Volkskongress am 5.3.15 hat Premierminister Li Keqiang sein Konzept des innovationsbasierten Wachstums "Made in China 2025" vorgestellt. Die Provinz Guangdong ist schon längst auf diesem Pfad unterwegs, hier werden nicht mehr nur iPhones zusammengeschraubt, sondern zunehmend Konkurrenz-Smartphones entwickelt. Immer mehr innovative Unternehmen und Markenprodukte "created in China" kommen aus Südchina.
In der Stadt Shenzhen, die 4% des lokalen BIP für Forschung und Entwicklung ausgibt, sind neben einem großen Sicherheitstechnik-Cluster zum Beispiel der Telekommunikationsausrüster Huawei beheimatet genauso wie BYD, der Elektroauto-Hersteller und Joint-Venture-Partner von Daimler. Anfang 2015 sorgte das Unternehmen DJI für Furore, als es auf der Liste der innovativsten Firmen der Welt des Magazins "Fast Company" erschien. Das Start-Up hat sich zum größten Hersteller ziviler Drohnen entwickelt.
Automatisierung in der Produktion nimmt zu
Die explodierenden Lohnkosten und höheren Qualitätsanforderungen zwingen die Firmen in Automatisierungstechnik und bessere Produktionsausrüstung zu investieren. China hat sich 2013 zum größten Markt für Industrieroboter der Welt entwickelt, mit 32.000 neuinstallierten Robotern. In Guangzhou stieg die Nachfrage jährlich um mehr als 30% so Yi Ming, Vizedirektor der Kommission für Handel und Investitionen der Stadt in der China Daily. Bis 2020, so aktuelle Schätzungen der Regierung, dürften mehr als 80% der Produktion in Guangzhou Industrieroboter und verbundene intelligente Technologien nutzen. Die Provinzregierung vergibt hierfür Subventionen.
Der Haushaltsgerätehersteller Midea startete bereits 2011 in Guangdong mit dem Einstieg in die Automatisierung. Bis Ende 2014 wurden rund 800 Millionen Renminbi in automatisierte Systeme investiert, berichtete das Magazin Caixin. Zu den bislang installierten 800 Robotern sollen bis Ende 2015 für bis zu 900 Millionen Renminbi weitere 600 hinzukommen. Bis Ende 2015 sollen so in der Klimaanlagenfertigung 6.000 Arbeitsplätze abgebaut werden, bis 2018 weitere 4.000.
Bislang würden aber mehr als 90% der Roboter oder der Kernkomponenten importiert, das soll sich ändern. Daher werden lokale Hersteller unterstützt, die Produktion soll mehr als 16,4 Milliarden US$ erreichen, wobei kein Zielzeitpunkt angegeben wurde. Einer der größeren ist GSK CNC Equipment in Guangzhou. Zwei bis drei Roboterentwicklungszonen sollen in der Stadt entstehen mit einer Kapazität bis 2020 von 100.000 Robotern pro Jahr, dazu zwei Firmen mit einem Umsatz von 10 Milliarden Renminbi sowie fünf bis sechs Zulieferer. Die "Guangzhou International Robot and Industrial Automation Expo" findet im Mai 2015 statt (www.gzrae.com).
Eine große Hausaufgabe der Provinzregierung bleibt es, die großen Unterschiede zu beheben. Während sich das ehemalige Fischerdorf Shenzhen zu einer der wohlhabendsten Städte Chinas gemausert hat, sind die Regionen im Westen nahe der Provinz Guangxi, der bergige Norden und der Osten abseits des Perlflussdeltas deutlich ärmer. So kam das BIP pro Kopf der Provinz 2013 auf Rang acht aller Provinzen und regierungsunmittelbaren Städte. Rechnet man aber das Perlflussdelta heraus, so ist es das viertniedrigste von China.
Während im Westen in Maoming die Petrochemie aufgebaut wird, hofft im Osten in Jieyang die "Sino-German Metall City" auf privatwirtschaftliche Dynamik. Derzeit wird vor allem an der Transportinfrastruktur gefeilt, inter-provinzielle Autobahnen und Schnellzugstrecken sollen die Vernetzung verbessern. Daneben soll den küstennahen Regionen Guangdongs eine wichtige Rolle bei der neuen Strategie der "maritimen Seidenstraße" zukommen. Große Hoffnungen ruhen auf dem Handel mit den ASEAN-Staaten. Dafür muss aber die Lage im südchinesischen Meer friedlich bleiben.
Zuletzt soll auch Guangdong eine Freihandelszone bekommen, analog der Pilotzone in Shanghai. Nach dem Volkskongress im März 2015 dürfte diese in die Umsetzungsphase eintreten. Die Zone bezieht die bereits seit einigen Jahren im Aufbau befindlichen drei Sonderzonen mit ein: Nansha bei Guangzhou, Qianhai (Shenzhen) mit Hongkong und Hengqin (Zhuhai) gemeinsam mit Macau. Mit einer offiziell angegebenen Größe von 931,4 km2 würde die Zone die in Shanghai mit 28,8 km2 deutlich übertreffen. Dabei soll der Schwerpunkt auf dem modernen Dienstleistungssektor liegen.
Die Provinz wird sich also weiter an die Speerspitze einer modernen Entwicklung in China setzen. Von der derzeitigen Reformagenda werden viele Konzepte erprobt, zum Beispiel der Handel mit CO2-Zertifikaten, Reformen der Landnutzungsrechte und Wohnsitzregistrierung, genauso wie die Privatisierung von Staatsunternehmen. Durch eine erfolgreiche Höherpositionierung der Industrie, mehr Innovationen, einem dynamischen Dienstleistungssektor, einer Reform der Staatsunternehmen, der Integration mit Hongkong sowie der insgesamt großen Offenheit nach Außen ist die Provinz gut gerüstet für die Zukunft.