Asien Kurier  8/2009 vom 1. August 2009
China

Sichuan strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein

Von Dr. Roland Rohde, Germany Trade & Invest in Hongkong

Sichuan k�nnte 2009 die einzige Provinz der Volksrepublik China sein, deren Bruttoinlandsprodukt st�rker w�chst als im Vorjahr. Die Wiederaufbauarbeiten in den Erdbebengebieten sorgen f�r eine Sonderkonjunktur. Doch auch in der kaum von der Katastrophe betroffenen Hauptstadt Chengdu boomt das Gesch�ft.

Von der internationalen Wirtschaftskrise ist in Chengdu nur wenig zu sp�ren. In der Hauptstadt der Provinz Sichuan, die im Mai 2008 von einem schweren Erdbeben ersch�ttert wurde, hei�t es "business as usual". Zwar ist der Einzelhandelsumsatz nach Angaben von Landeskennern ein wenig zur�ckgegangen, ansonsten �berwiegen aber die positiven Nachrichten.

Vor allem mit spektakul�ren Unternehmensansiedelungen hat sich Chengdu mitten in der Krise einen Namen gemacht. So k�ndigte der US-amerikanische Computerhersteller Intel im Februar 2009 an, seine Fabriken und Testlabore, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt in Shanghai befanden, innerhalb von einem Jahr in die Provinzhauptstadt verlagern zu wollen. Dort unterh�lt der Konzern bereits seit 2007 eine Fertigungsst�tte. Nun soll der Standort zum Chinahauptsitz ausgebaut werden.

Als Grund f�r die Entscheidung f�hrte das Unternehmen vor allem Kostenvorteile an. So sind Ingenieure aber auch einfache Facharbeiter - in Westchina merklich billiger als in der Yangzimetropole. In Chengdu kann der Konzern zudem auf einen relativ breiten Pool ausgebildeter Fachleute zur�ckgreifen, denn die �rtlichen Universit�ten haben landesweit einen hervorragenden Ruf.

Auch andere Kostenfaktoren spielten eine Rolle. So sind die Grundst�ckspreise und Mieten in den Boomregionen Chinas sehr teuer geworden. Bislang konnten die schnellen Transportzeiten und die geringen Logistikkosten f�r einen gewissen Ausgleich sorgen. Doch die Unternehmen rechnen in der Krise mit einer spitzen Feder und die Regionen im Landesinneren locken mit zahlreichen Verg�nstigungen. So muss Intel in den ersten drei Jahren seines Engagements in Chengdu keinerlei B�romieten zahlen.

Intel ist nicht das einzige Unternehmen des IT-Sektors, das sich in Chengdu niedergelassen hat. Zahlreiche andere Firmen unterhalten Forschungs- und Testlabore, aber auch Fertigungsst�tten in oder in der N�he der Provinzhauptstadt. Alcatel-Lucent, Cisco, Ericsson, Microsoft, Nokia, SAP oder Siemens reihen sich in die Liste klangvoller Namen ein. Dank ihrer Hilfe verdoppelten sich 2008 die ausl�ndischen Direktinvestitionen in Sichuan auf 2,4 Milliarden US-Dollar.

Seinen Status als Hochtechnologiestandort verdankt Chengdu nicht nur den renommierten Universit�ten und Forschungsinstituten, sondern auch der Rolle als Zentrum der chinesischen R�stungsindustrie. So werden hier unter anderem Milit�rjets gebaut. Doch der Hightechsektor ist in den letzten Jahren deutlich friedlicher geworden und zivile Projekte haben an Bedeutung gewonnen. So wird in Chengdu beispielsweise an der Entwicklung einer eigenen Technologie f�r Magnetschwebebahnen gearbeitet.

Das Erdbeben vom Mai 2008 hat der Attraktivit�t des Standortes nicht viel anhaben k�nnen. Die meiste Unternehmen sind ohne gro�en materiellen Schaden aus der Naturkatastrophe hervorgegangen. So waren vor allem St�dte und Kreise in abgelegenen Regionen betroffen. Die meisten Industriebetriebe Sichuans sind aber in der N�he Chengdus angesiedelt, wo es kaum Sch�den gab.

Die Wiederaufbauarbeiten f�hren zudem zu einer Sonderkonjunktur. Die Wirtschaft Sichuan k�nnte daher die einzige innerhalb Chinas sein, die im Krisenjahr 2009 st�rker wachsen wird als 2008. Damals sank das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts infolge des Erdbebens von 14,2 auf 9,5 Prozent. F�r 2009 sagen Landeskenner eine zweistellige Wachstumsrate voraus.

Genaue Zahlen �ber den Umfang der Wiederaufbauarbeiten ver�ffentlichte die Zentralregierung Ende Mai 2009. Ihr zufolge flie�t ein Viertel des Konjunkturpaketes in H�he von 4.000 Milliarden Renminibi Yuan in die Erdbebenregionen. Das entspricht einer Summe von fast 150 Milliarden US-Dollar oder rund 80 Prozent der j�hrlichen Wirtschaftsleistung der Provinz. Angaben, �ber welchen Zeitraum sich die Investitionen verteilen sollen, machte Beijing allerdings nicht. DasWachstum d�rfte sich damit 2009 von den K�stenregionen des Yangzi- und Perlflussdeltas in Richtung des Landesinneren verschieben. Nicht nur Chengdu, sondern auch das benachbarte Chongqing befinden sich in einem raschen Transformationsprozess. In Chongqing siedelten sich 2008/09 der Computerhersteller HP und dessen taiwanischer Auftragsfertiger an.

Dieser Prozess ist jedoch nicht durch die Krise ausgel�st, sondern nur verst�rkt worden. Schon in den Jahren 2006 und 2007 hatten die ersten Unternehmen ihre Fabriken in Shenzhen oder Shanghai abgebaut und waren in Richtung Westen abgewandert. Besonders im s�dlichen Guangdong, wo zahlreiche Betriebe der traditionellen Leichtindustrie sitzen, lassen sich viele Waren kaum mehr wettbewerbsf�hig produzieren.

Die Ausfuhren der Exporthochburg wuchsen daher 2008 nur noch um gut 9 Prozent, und der Anteil der Provinz an den landesweiten Ausfuhren fiel unter die 30- Prozent-Marke. In den 90er Jahren hatte die Quote noch bei �ber 40 Prozent gelegen.

Im Gegenzug boomt der Au�enhandel Sichuans. So stiegen die Exporte der Provinz allein 2008 um mehr als 50 Prozent gegen�ber dem Vorjahr. Mit einen Wert von 13 Milliarden US-Dollar lagen sie zudem erstmalig im zweistelligen Bereiche. Im Vergleich zu Guangdong mit seinen �ber 400 Milliarden US-Dollar machten sie sich aber immer noch gering aus.

Wann und ob sich Sichuan zu einer f�hrenden Exportprovinz entwickeln wird, bleibt allerdings abzuwarten. Andere Regionen Chinas wollen ebenfalls von der Abwanderungstendenz aus dem Yangzi- und Perlflussdelta profitieren. Die Nachbarprovinzen Guangdongs locken Unternehmen mit subventionierten Industrieparks und auch im Landesinneren gibt es Konkurrenten.

Neben Chongqing tut sich einiges in Xi'an, der Heimat der Terrakottaarmee, und in Changsha, der Haupstadt Hunans. Ganz im Norden ist es Heilongjiang und Jilin gelungen, ihr Image als "Rostg�rtel Chinas" abzustreifen. Umfragen unter in S�dchina produzierenden Hongkonger Investoren ergaben, dass bis zu 10 Prozent der abwanderungswilligen Firmen mit dem Norden lieb�ugeln.