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Indiens dynamisches Wachstum wirft seine Schattenseite auf den Arbeitsmarkt. Fachkräfteknappheit und ein starker Nachfrageüberhang nach "High Potentials" sind die Folge.
Wie viel Fachkräfte in den einzelnen Sektoren fehlen, verdeutlichen einige konkrete Beispiele:
Im Gesundheitsbereich fehlen 1,5 Millionen Fachkräfte, Im IT-Sektor müssen noch eine halbe Million Ingenieure gesucht werden. Ein starker Facharbeitermangel ist bereits in der Automobilindustrie festzustellen. Bis 2015 werden insgesamt 25 Millionen Fachkräfte benötigt, während es jetzt nur 10,5 Millionen sind. Allein im Biotech-Sektor besteht jetzt schon eine Angebotslücke von 80 Prozent bei wissenschaftlichen Angestellten im mittleren und oberen Segment.
Mit einer dreimonatige Erhebung (Dezember 2009 bis Februar 2010) ermittelte der Personalberater ASC branchenspezifische Fluktuationsraten. Dabei wurden rund 1.000 Unternehmen in Indien, vorzugsweise internationale Unternehmen befragt.
Schon die erste Auswertung ergab, dass die Call Center bei der Abwanderung von Arbeitnehmern die Spitzenreiter waren, gefolgt von den Angestellten im Einzelhandel. Dort wechselt jeder zweite Mitarbeiter den Arbeitsplatz binnen eines Jahres. Dies trifft sicherlich auch die Hotline der Lufthansa AG in Bangalore zu, die Anrufe aus aller Welt in Indien entgegennimmt, um vermisste Gepäckstücke zu suchen.
Ein regelrechtes Job-Hopping findet derzeit in den Branchen Banken (44%) Biotechnologie (43%) und Pharmazie (35%) statt. Gerade in den Hochburgen der deutschen Industrie in Indien wie Pune und Mumbai wechselt jeder dritte Mitarbeiter in einem Jahr den Arbeitgeber. Im IT-Bereich liegt die Fluktuationsrate branchenweit bei 24 Prozent. SAP unterbietet diesen Wert um die Hälfte und stellt so den "Klassenprimus der Branche" dar.
Die drei wichtigsten Gründe für die Abwanderung von Arbeitnehmern:
• beim neuen Arbeitgebers Gehaltssprünge realisieren zu können
• fehlende berufliche Weiterentwicklungsperspektive
• Probleme bei der Arbeitsatmosphäre und Arbeitsplatzgestaltung.
Gerade beim Aufbau und Betreiben eines F&E-Standortes in Indien gehört die Mitarbeiterfluktuation zu einem Kernproblem. Die erhöhten Abwanderungsraten, die in der Spitze bis über 20 Prozent bei F&E erreichen können, lassen sich auf die nicht nachhaltige Bindung von indischen Fachkräften zurückführen.
Das mittelständige Unternehmen, Hans Grohe AG, hält ihre indischen Mitarbeiter über Karriereplanung und Qualifizierungsmaßnahmen; geht aber dabei von einer alljährlichen Fluktuationsrate von 25 Prozent aus. Diese Aussage bestätigt in mehrfacher Hinsicht die Funktionsweise des Magischen Dreiecks der Mitarbeiterbindung: Es besagt, dass nur bei gleichzeitiger Umsetzung der drei Bindungsinstrumente die höchstmögliche Bindungswirkung erzielt wird. Beim Fehlen einer Ecke des Dreiecks wie beispielsweise marktgerechte Entlohnung (monetäres Anreizsystem) bricht das Dreieck zusammen und der Mitarbeiter verbessert sich bei der Konkurrenz. Natürlich wirkt dieses Dreieck nicht, wenn beispielsweise ein US-amerikanischer Konkurrent eine Gehaltssteigerung mit vertikalem Wechsel in Höhe von über 100 Prozent dem indischen High Potential anbietet.
Bindungsinstrumente im Einzelnen
Die Höherqualifizierung in Form von Schulungen und internationalen Weiterbildungsmaßnahmen zu machen, ist für indische Fachkräfte ernorm motivierend. Dazu gehört auch der Einsatz in interessanten Projekten, beispielsweise in internationalen Teams. Der Hang zu Titeln ist bei indischen Unternehmen sehr ausgeprägt. Oftmals werden in einem traditionellen Unternehmen bis zu 17 Titel ohne hierarchische Funktion vergeben. So kann auch eine Beförderung in einer indischen Organisation die gezielte Vergabe von einem Titel bedeuten.
Ein monetäres Anreizsystem beinhaltet neben der variablen Vergütung und der Ausschöpfung der Erhöhungsspielräume auch einen Bindungs-Bonus, der erst nach einer bestimmten Zeit der Firmenzugehörigkeit ausgezahlt wird. Auch die Möglichkeit, Geschäftsanteile (maximal 5%) zu übertragen, wird praktiziert. Was bei indischen Angestellten sehr gut ankommt, ist eine Krankenversicherung, die nicht nur den Arbeitnehmer sondern seine Familie und Eltern umfasst.
Die ideale Arbeitsatmosphäre und Arbeitsplatzgestaltung spielen für den Mitarbeiter eine große Rolle. Besonders zählt für den indischen Mitarbeiter ein öffentliches Lob, am meisten von seinem westlichen Chef; großer Beliebtheit erfährt auch das Employee Board, auf dem all monatlich die Fotos der besten Mitarbeiter hängen. Die Schenker AG hat eigens ein Mentorensystem etabliert, das sich bewährt hat und die Fluktuationsrate halbieren konnte. Den Mitarbeitern werden hierarchisch übergeordnete ausländische oder indische Mentoren zugeteilt. Deren Aufgabe ist es, sich mit ihren zu betreuenden Kollegen - mit jedem einzeln versteht sich - alle zwei Wochen zu treffen. Themen sind eine detaillierte Zufriedenheitsbeurteilung, Weiterbildungsfragen, persönliche Perspektiven und familiäre Fragen.
Sehr begrüßten Arbeitsnehmer Freizeitaktivitäten, zu denen das Unternehmen Gelegenheit gibt. Sich in einem Recreation Center sportlich zu betätigen. Gruppensportarten (Basketball, Volleyball etc.) oder im Team Cricket zu spielen, stärkt den Zusammenhalt. Schliesslich werden monatliche Familientage organisiert, um Arbeitnehmer über die Familienangehörige an das Unternehmen zu binden.