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Im Prinzip schon seit über 30 Jahren ist Indonesien stets mit von der Partie, wenn die globale Investorengilde die Kandidaten für den nächsten großen Wachstumsschub ausruft. Und genauso lang müssen Prognosen korrigiert, Erwartungen gedämpft und Hoffnungen erneuert werden. Nachdem das Land in der zweiten Hälfte 2013 in volkswirtschaftliche Turbulenzen geraten war, richten sich die Blicke auf die Präsidentenkür am 9. Juli 2014. Jedoch hat das relativ schwache Abschneiden der Partei von Hoffnungsträger Joko Widodo bei der jüngsten Parlamentswahl Zweifel am Zustandekommen einer agilen Reformregierung geweckt. Dies ist bedauerlich, denn von der Papierform her ist Indonesien tatsächlich mit einer Reihe von Vorzügen ausgestattet.
Da wäre zunächst die schiere Größe des Landes, gepaart mit der weltweit viertgrößten Bevölkerung von rund 250 Millionen Menschen. Dabei ist zu bedenken, dass es sich hierbei � im Unterschied zu den Milliardenvölkern in Indien und China � um eine Bevölkerungsmasse handelt, die noch ohne größere Probleme zu bewältigen ist. Die indonesischen Größenverhältnisse machen das Land zum wichtigsten Akteur seiner Region: Innerhalb der schon seit längerem im ökonomischen Aufwind befindlichen ASEAN-Gruppe stellt Indonesien sowohl was die Landmasse als auch was die Bevölkerung und die Wirtschaftskraft anbelangt, einen Anteil von je 40%. Auch als G-20-Mitglied spielt Indonesien für die weiteren Entwicklungen in Südostasien und darüber hinaus eine zentrale Rolle. In geopolitischer Hinsicht stellt die indonesische Inselwelt das Verbindungsglied zwischen Indischem und Pazifischem Ozean dar. Die zwischen Sumatra und Malaysia gelegene Straße von Melakka gehört zudem zu den frequentiertesten Transportwegen der Globalisierung.
Solide Makrodaten
Für eine positive Wahrnehmung hat in den letzten Jahren speziell der Umstand gesorgt, dass Indonesien mit einem bemerkenswert stabilen Wachstum von um die 6-Prozent-Marke aufwarten konnte. Damit hebt sich Indonesien von den anderen ASEAN-Staaten wie auch von den lange hochgelobten BRIC-Ländern ab, deren Wachstumskurven allesamt sehr viel volatiler verliefen. Vor diesem Hintergrund ist es Indonesien in der letzten Dekade gelungen, seine Wirtschaftskraft auf aktuell 870 Milliarden US$ zuverdreinhalbfachen. Als weiterer Positivfaktor ist der konstante Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen (FDI) zu nennen: Unterbrochen nur von einem Rückgang im Krisenjahr 2009 haben sich die Werte kontinuierlich erhöht � mit einem vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2013, als ein Plus von 23 Milliarden US$ zu Buche stand. Vor allem Investoren aus Ostasien haben zuletzt ihr Engagement in Indonesien verstärkt. In diesem Umfeld verlagert sich auch der indonesische Außenhandel zunehmend auf die asiatisch-pazifischen Partner. Neuansiedlungen gab es vornehmlich im Bereich der arbeitsintensiven Fertigung wie der Textil-, Bekleidungs- und Schuhherstellung oder der Möbelproduktion, wobei Indonesien neben Vietnam am stärksten von Produktionsverlagerungen aus der VR China und den verstärkten japanischen Diversifizierungsbemühungen profitieren konnte. Erhöhte Investitionen hat es auch im Rohstoffsektor gegeben.
Bemerkenswert ist auch die im internationalen Vergleich geringe Staatsverschuldung von etwa 23,5% des BIP. Angesichts dieses soliden finanziellen Fundamentes verfügt die künftige indonesische Regierung über einen erheblichen investiven Spielraum. Allerdings hängt die zurückhaltende staatliche Investitionstätigkeit auch damit zusammen, dass es in den einzelnen Teilen des stark dezentralisierten Landes teils gravierende Probleme bei der praktischen Umsetzung von Initiativen und Programmen gibt. Hiermit ist auch schon ein Generaldefizit für die insgesamt nur gemächlichen Fortschritte benannt, das sowohl auf öffentlicher Seite als auch beim Privatsektor anzutreffen ist.
Jugend: konservativ, aber modern
Aufseiten der Gesellschaft fällt vor allem die steigende Bedeutung der jüngeren Altersgruppen ins Auge. Im Unterschied etwa zu Thailand, das sich zunehmend mit den schwierigen Folgen einer alternden Gesellschaft auseinanderzusetzen hat, besitzt Indonesien eine überaus junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 27,9 Jahren. Wie stark die Generationsdynamik ist, kann etwa daran abgelesen werden, dass bei den Parlamentswahlen am 9. April insgesamt 21,8 Millionen Personen im Alter zwischen 17 und 21 Jahren erstmalig wählen durften, was einem Anteil am Gesamtelektorat von 12% entsprach. Hier ist unverkennbar einiges am Gären.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Jugend des ganz überwiegend muslimischen Landes einerseits ein explizit konservatives Einstellungsprofil besitzt und großen Wert auf Familie, Religion und klassische Tugenden legt. Andererseits ist sie aber nicht anti-modernistisch disponiert, sondern weiß ganz im Gegenteil die Errungenschaften der modernen Welt freudig für sich nutzen. Insbesondere was die Nutzung neuer Kommunikationsmedien anbelangt, gehört Indonesiens Jungend zu den internationalen Trendsettern. Eine vergleichsweise umsichtige politische Führungsschicht, eine überwiegend moderate Auslegung des Islam und eine optimistisch-leistungsbereite Jugend sprechen dafür, dass in Indonesien auch für die kommenden Jahre von einer generellen innenpolitischen Stabilität ausgegangen werden kann. Allerdings werden die nachwachsenden Jahrgänge nur solange hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, wie ihnen entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden.
Schwachpunkt: Zu wenig Innovationen
Genau an dieser Stelle könnte die bisherige indonesische Erfolgsgeschichte deutlichen Gegenwind erhalten. Denn der positive Gesamttrend überdeckt einige strukturelle Schwächen, die sich künftig als schwere Hypothek erweisen könnten. An erster Stelle steht dabei sicher die weiter unverhältnismäßig hohe Dominanz des Rohstoffsektors. Die Exporteinnahmen stammen überwiegend aus dem Verkauf von Palmöl, Kohle oder Eisenerz. Es wird zu wenig für die Entwicklung von Alternativbranchen getan, mit denen man die Wirtschaft auf eine breitere Grundlage stellen könnte. Eine Ursache hierfür sind die massiven Schwächen in der Bildungsinfrastruktur. Der indonesische Staat tut schlicht zu wenig für die Bildung seiner Bürger, gerade auch der Universitätsbereich ist chronisch unterfinanziert. Selbiges gilt für die Ausbildung von gewerblichen Fachkräften � mit der Folge, dass ausländische Unternehmen fast schon verzweifelt nach fähigem Personal suchen. Es mangelt auch an einer kohärenten Industriepolitik, bei der vielversprechende Branchen identifiziert und entsprechend über einen längeren Zeitraum gefördert werden. Zwar versucht sich Indonesien mittlerweile beispielsweise als Fertigungsstandort für die Automobilindustrie zu positionieren. Die jahrzehntelangen Versäumnisse wie der Aufbau eines adäquaten Zulieferernetzwerkes dürften sich aber nur sehr langsam beheben lassen. Allein der Verweis auf den großen Binnenmarkt und einen großen (vorerst nur theoretischen) Beschäftigtenpool wird nicht reichen.
Engpass Infrastruktur
Ein Grundproblem ist natürlich die völlig unzureichende Infrastruktur. Es wird geschätzt, dass die Logistikkosten bei ungefähr einem Viertel der Gesamtwirtschaftsleistung liegen. Zwar kursieren ambitionierte Pläne für einen groß angelegten Ausbau der Infrastruktur wie den Indonesia Economic Masterplan 2011-2025. Bislang investiert die Regierung aber lediglich 2% des BIP in entsprechende Maßnahmen, womit das Land deutlich unter dem regionalen Durchschnitt liegt. Handlungsbedarf gibt bei es Straßen, Brücken, Häfen, Airports, dem Schienenverkehr und vor allem bei der Errichtung von Systemen des öffentlichen Personenverkehrs. Ein Schwerpunkt müsste auf die Verbindung der einzelnen Inseln des Archipels gelegt werden. Wird die Frage nach der Finanzierung der in Aussicht gestellten Projekte gestellt, folgt fast automatisch der Verweis auf Private-Public-Partnerships (PPP), wobei offenbleibt, ob beim Privatsektor überhaupt ein entsprechendes Interesse vorhanden ist. Auf Reserve stoßen diese Vorschläge vor allem auch deshalb, weil die Regierung eine starken Fokus auf Betreibermodelle legt und einen dezidierten Turn-Key-Ansatz bei Großprojekten verfolgt, bei dem einzelne Konsortien die Gesamtprojekte vollumfänglich abwickeln sollen.
Ausländische Investoren, die Erfahrungen im indonesischen Markt haben, sind in letzter Zeit ohnehin noch etwas zurückhaltender geworden, da sie mehrheitlich Erfahrungen mit immer neuen bürokratischen Hürden wie Importrestriktionen, die verpflichtende Verwendung von indonesischen Produkten bei Staatsprojekten, die Limitierung der Anzahl ausländischer Mitarbeiter in Firmen oder die Verschärfung bei Importlizenzen gemacht haben, die ihnen das Geschäft erschweren. Auch bei der allgemeinen Wirtschaftsstruktur wären Modifikationen nötig: Der Staat unterhält in einigen Kernbereichen wie der Telekommunikation, der Energieversorgung, dem Bausektor und der Textilproduktion weiter Monopolbetriebe. Auch das Militär besitzt ein eigenes Firmenimperium. Gewisse Fortschritte hat es indes bei der Korruptionsbekämpfung gegeben, wenngleich die Problematik weiter virulent bleibt. Hier wurde mit der Anti-Corruption Commission (KPK) eine Strafverfolgungsbehörde mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen geschaffen, die bereits einige spektakuläre Verurteilungen vorgenommen hat. Angesichts der relativen Erfolge haben aber die Versuche zugenommen, die Kompetenzen der KPK zu beschneiden. Hier wird viel davon abhängen, welche Unterstützung die KPK vom nächsten Präsidenten erhält.
All diese Schwachstellen sind solange nicht kritisch ins Gewicht gefallen, wie die Gesamtregion von einer robusten Wachstumsdynamik gekennzeichnet war. In dem Moment aber, als sich das Umfeld infolge der eingeleiteten Straffung der US-Geldpolitik im Sommer letzten Jahres merklich eingetrübt hat, sind die indonesischen Defizite schonungslos zutage getreten. Dies galt speziell für das Leistungsbilanzdefizit, das primär auf die zu geringen Exporte zurückzuführen ist. Zudem ist ins Bewusstsein getreten, dass allein ein starker Binnenkonsum, der für über die Hälfte des BIP steht, für eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung nicht genug ist. Und nicht zuletzt hat sich gezeigt, dass der Versuch, die nationale Wertschöpfung durch ein simples Ausfuhrverbot von unverarbeiteten Gütern zu erhöhen, eher kontraproduktiv wirkt. Die makroökonomische Lage hat sich in den letzten Monaten wieder etwas entspannt � potenzielle Investoren würden aber gern wissen, wie es mittelfristig in dem Inselstaat weitergeht. All die genannten Probleme und Defizite harren einer Bearbeitung. Und dabei richten sich die Blicke vorrangig auf die Politik.
Supermann Jokowi?
Nachdem der seit 2004 regierende Präsident Yudhoyono in seiner zweiten und letzten Amtszeit nicht mehr viel zustande gebracht hat, ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung spürbar gestiegen. Dies gilt besonders für die 95 Millionen Indonesier, die unterhalb oder knapp über der staatlich festgelegten Armutsgrenze von 1,25 US$ pro Tag leben müssen. Angesichts des fortgesetzten Treibens kleptokratischer Familienclans und habgieriger Ex-Generäle besteht eine tiefe Sehnsucht nach einer unbestechlichen und glaubwürdigen politischen Führung. Genau diese Erwartungen werden auf den sich unprätentiös und bürgernah gebenden Joko Widodo projiziert. Der ehemalige Bürgermeister der zentraljavanischen Stadt Solo und derzeitige Gouverneur von Jakarta ist quasi zum Gegenentwurf zur derzeitigen Politikerkaste geworden. Gerade bei den Jungen ist �Jokowi� so populär, dass er schon länger als Präsident im Wartestand gilt. So gesehen war es eine mittlere Überraschung, dass seine Indonesian Democratic Party-Struggle (PDI-P) zwar stärkste Kraft geworden ist, aber nur 19% der Stimmen geholt hat. Es ist zwar wahrscheinlich, dass PDI-P auf 20% der Parlamentssitze kommen wird, die nötig sind, um Widodo als Kandidaten nominieren zu können. Es ist aber absehbar, dass die PDI-P eine größere Allianz wird schließen müssen, um Gesetze durchs Parlament bringen zu können. Dies wird absehbar auf eine Aufweichung der Agenda der Reformbefürworter hinauslaufen.
Politische Kuhhandel, die Widodo explizit ausgeschlossen hat, werden wohl weiter die indonesische Politik bestimmen. Zumal er in seiner eigenen Partei, die von Ex-Präsidentin Megawati angeführt wird, nur über begrenzten Rückhalt verfügt. Allerdings sollte aus der schwachen Performance seiner Partei nicht geschlossen werden, dass er massiv an Strahlkraft verloren hat. Im Vergleich zu seinen Konkurrenten wie dem Jet-Set-Großunternehmer Aburizal Bakri oder Ex-General Prabowo Subianto, der im Wahlkampf mit der Forderung nach einer Verstaatlichung von ausländischen Anlagen zu punkten versucht hat, steht Widodo weiter glänzend da. Die Frage wird aber sein, inwieweit es ihm gelingt, eine effektive Regierung zu formen � und hier bestehen deutliche Zweifel. Eine Entzauberung scheint unvermeidlich. Außerdem fiel auf, dass die Parteien im Wahlkampf kaum größere Mühen unternommen haben, um ihre wirtschaftspolitischen Positionen herauszustellen. Auch über Widodos Vorstellungen herrscht weitgehend Unklarheit. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die indonesische Gesellschaft sich im Grunde mit dem Status quo arrangiert hat und die einschneidenden Veränderungen des alles in allem relaxten Indonesian Way of Life, die mit einer ernsthaften Reformpolitik einhergehen würden, scheut. Allerdings steigt � siehe oben � der Handlungsdruck. Je mehr man die offensichtlichen Anpassungen hinauszögert, desto umfassender werden diese ausfallen müssen. Die Zeit läuft.