Oft sind es die kleinen und unscheinbaren Dinge des Lebens, die viel über den Charakter eines Landes aussagen. Allerdings sind die Nuancen einer Alltagskultur in der Regel umso schwieriger zu erkennen, je fremdartiger und exotischer die Szenerie auf den Betrachter wirkt. Das kann schnell dazu führen, dass der auswärtige Besucher kaum zu sagen vermag, was denn nun das Besondere und Einzigartige des besuchten Landes eigentlich ausmacht
Dies dürfte eine Erfahrung sein, die speziell viele Thailandreisende gemacht haben. Denn auf den ersten Blick gibt es dort nur wenige Dinge, die einen so prägnanten Eindruck hinterlassen, dass sie als typisch thailändisch im Gedächtnis haften bleiben würden. Die Schwierigkeit, etwas spezifisch Thailändisches zu identifizieren, könnte dabei zu der Annahme verleiten, dass es dergleichen nicht gibt. Aber nichts weniger als das. Allein die Tatsache, dass Thailand dem Schicksal der Kolonisation entgehen konnte, spricht vielmehr dafür, dass die Thais - im Unterschied zu anderen asiatischen Völkern - viele ihrer Eigenheiten bewahren konnten.
Und in der Tat: Schon beim ersten Durchblättern des opulent bebilderten Bandes von Philip Cornwel-Smith und John Goss fallen etliche Dinge auf, die es so nur in Thailand und nirgendwo sonst gibt. So die allgegenwärtigen Geisterhäuschen, die Imbissstände, an denen Insekten aller Art feilgeboten werden oder die mit ausgefallenen Details dekorierten Schiebetore, mit denen Privatgrundstücke wie öffentliche Einrichtungen von der Außenwelt abgetrennt werden. Aber noch interessanter als diese Äußerlichkeiten sind die kleinen Launen und Marotten der Thais wie ihr Faible für dubiose Energydrinks, das permanente Inhalieren von Kräutersubstanzen oder der chronische Hang, einen Hellseher aufzusuchen. Auch ist es aufschlussreich zu erfahren, dass die Zahl neun im digitalen Zeitalter immer noch als magisch gilt und deshalb Banknoten, die auf diese Ziffer enden besonders begehrt sind.
Nun belassen es die Autoren nicht dabei, die mehr oder weniger skurrilen Eigentümlichkeiten für den Leser zu dokumentieren, sondern sie liefern zu jedem Aspekt auf solidem Hintergrundwissen basierende Erklärungen. Grundsätzlich thailändisch ist für sie dabei die Fähigkeit, völlig vorbehaltlos fremde Einflüsse aufzunehmen und sie mit traditionellen Elementen anzureichern. Äußerlichkeiten sind dabei überaus wichtig - sie dienen aber stets der Verwirklichung anderer Ziele. Zu einem typisch thailändischen Gegenstand wird etwas jedenfalls dann, wenn es Heiterkeit und Spaß, kurz: "Sanug" verkörpert. Exemplarisch lässt sich diese "Thailandisierung" etwa an der mittlerweile zu einer Art Nationalsymbol gewordenen dreirädrigen Motorrikscha Tuk-tuk beobachten: Ursprünglich aus Kostengründen aus Japan eingeführt und an sich mit einem wenig attraktiven Design ausgestattet, ist es den Thais durch die Anbringung von bunten Lämpchen, Fahnen und allerlei Devotionalien sowie einem Anstrich in den gewagtesten Farbkombinationen gelungen, dem Gefährt ein typisch thailändisches Aussehen zu verpassen.
Summa summarum haben Cornwel-Smith und Goss nichts weniger als einen veritablen Mentalitätsführer vorgelegt, der einen amüsanten und erhellenden Einblick in das Leben der Thais ermöglicht.