Asien Kurier  9/2009 vom 1. September 2009
Taiwan

Ein Tiger zeigt die Krallen

Von Moritz Heile in Deutschland

W�hrend sich in anderen Teilen der Welt das Schreckgespenst der Rezession nicht vertreiben lassen will, wird in Ost- und S�dostasien die Stimmung jeden Tag ein bisschen besser.

Wo Anfang des Jahres noch taumelnde Wachstumsraten und abst�rzende Indizes auf die Stimmung von Investoren und Unternehmern schlugen, macht sich nicht nur Optimismus breit, sondern ist die Erholung l�ngst auch in der Realwirtschaft angekommen. Sp�rbar wird diese Entwicklung gegenw�rtig vor allem in Taiwan.

Galt die stark exportorientierte Ausrichtung der taiwanesischen Volkswirtschaft lange als Achillesferse, z�hlt der Inselstaat nun zu den gr��ten Profiteuren der wieder anziehenden Wirtschaft Chinas. Die schnelle Umsetzung der Konjunkturspritzen Pekings macht sich beim Nachbarn unmittelbar bemerkbar. Nach dem die Warenausfuhr in die Volksrepublik Anfang des Jahres um dramatische 40 Prozent zur�ckgegangen war, legte sie zuletzt fast ebenso deutlich zu.

Doch das nahe chinesische Festland ist f�r Taiwan nicht nur ein vielversprechender Absatzmarkt, sondern zunehmend auch ernsthafte Konkurrenz. Zwar stammt der Gro�teil aller heute weltweit verkauften Laptops aus taiwanesischer Produktion und Umfragen zufolge ist das Inselparadies noch immer einer der attraktivsten Standorte f�r die IT-Branche, doch einige Chiphersteller wenden sich bereits ab und wandern gen China ab. Das Reich der Mitte �berzeugt vor allem mit g�nstigen L�hnen, attraktiven Standorten und einer ausgezeichneten Lage � mit all jenen Merkmalen also, die schon Taiwan zum Wirtschaftswunder verholfen haben. Dass man in Anbetracht dessen nicht l�nger nur die Computerschmiede der Welt bleiben kann, haben die Taiwaner l�ngst erkannt. Die Entwicklung vom Dasein als billige Werkbank hin zu einem innovativen Hightechstandort ist in vollem Gange.

Inbegriff dieser Neuausrichtung ist der Computergigant Acer. Lange begn�gte sich das 1976 gegr�ndete Unternehmen damit, f�r westliche Firmen nach deren Ideen und Vorgaben Hardware herzustellen um sie dann in die ganze Welt zu verschiffen. So wurde man schon in den 1990er Jahren klamm und heimlich zum drittgr��ten PC-Hersteller weltweit, ohne dass die eigene Marke ein Begriff war. Doch das hat sich ge�ndert. Heute genie�t Acer weltweit Renommee, engagiert sich im Motorsport sowie Profi-Fussball und ist offizieller Partner der kommenden Olympischen Spiele. Diese Marketingma�nahmen sollen dazu beitragen, dass der Konzern seinem Ziel etwas n�her kommt, bis 2011 Weltmarktf�hrer beim Absatz von Notebooks zu werden. Schon jetzt ist man der US-amerikanischen Konkurrenz von Hewlett-Packard dicht auf den Fersen. Dabei geht das Unternehmen aus Taipeh konsequent den Weg, den der Westen vorgemacht hat: Entwicklung, Technik und Vertrieb liegen in den H�nden von Acer, w�hrend die Produktion anderen �berlassen wird. Mittels dieser Arbeitsteilung wurde der taiwanesische Billigheimer auch f�hrend bei LCD-Bildschirmen. Um zus�tzliches internationales Know-how in den Konzern zu holen, wurden auf der Jagd nach Marktanteilen 2007 das NASDAQ-Unternehmen Gateway sowie 2008 der europ�ische Konkurrent Packard Bell �bernommen. Dass man trotz dieser Mehrbelastungen bisher relativ schadlos durch die Weltwirtschaftskrise kam, liegt vor allem daran, dass Acer weniger abh�ngig ist von Gro�kunden, sondern den �berwiegenden Teil seines Gesch�fts mit privaten Verbrauchern macht � und die greifen auch in �konomisch schwierigen Zeiten gerne zu den vergleichsweise g�nstigen Computern aus Taiwan.

Einen �hnlichen Weg hat Asus hinter sich. Von vier ehemaligen Acer-Mitarbeitern 1989 gegr�ndet, konzentrierte sich das Unternehmen als Hersteller von Computerhardware zun�chst auf die Produktion f�r ausl�ndische Auftraggeber wie Sony oder Samsung. Um dem Gesch�ft mit der Eigenmarke mehr Gewicht zu geben, wurde dieses j�ngst im Rahmen einer Restrukturierung von der Fremdproduktion getrennt. Mittlerweile hat der Konzern 100.000 Angestellte weltweit, die meisten davon in der VR China. Hierher wurde der gr��te Teil der Produktion verlagert und so entstand bei Shanghai auf 540.000 m2 ein komplett neuer Industriepark. Die Vorteile der r�umlichen N�he zur Volksrepublik und der gemeinsamen Sprache lassen sich so geschickt zu Nutzen machen. W�hrend auf dem Festland sowohl vollst�ndige Laptops als auch einzelne Bauteile gefertigt werden, sind Forschung und Entwicklung in Taipeh, der Hauptstadt der Inselrepublik Taiwan, angesiedelt. Dass diese Rechnung aufgeht, beweisen die Zahlen: Ein Drittel aller im vergangenen Jahr weltweit verkauften Computer waren mit einem motherboard aus dem Hause Asus ausger�stet.

Doch das Erfolgskonzept von Acer und Asus ist keine Ausnahme der taiwanesischen IT-Branche. Es findet sich vergleichbar auch in anderen Sparten. So will sich der Elektrikkonzern Aiptek verst�rkt auf eigene Produkte konzentrieren, insbesondere Digital- und Videokameras sowie Miniprojektoren unter eigenem Namen vertreiben. In Anlehnung an das Beispiel Acer wurde das Unternehmen mittels Aufspaltung neustrukturiert. Unter dem eigenen Markennamen sollen nunmehr neue fortschrittliche Technologien entwickelt und vermarktet werden. Die Massenproduktion wurde derweilen in eine neue Firma ausgegliedert � nach China nat�rlich.

Als Musterbeispiel eines taiwanesischen Unternehmens auf der �berholspur gilt auch der Telekommunikationskonzern HTC. Binnen k�rzester Zeit wurde die erst 1997 gegr�ndete Firma zum �rgsten Widersacher der iPhone-Sparte von Apple. Lief der Vertrieb von HTC-Produkten lange unter dem Branding verschiedener Netzprovider und Wiederverk�ufer, tritt das in Taoyuan ans�ssige Unternehmen nun auch unter eigenem Namen auf. Nicht l�nger sollen sich die hochwertigen Technologieprodukte von der Insel hinter westlichen Marken verstecken. Dass man mit dieser Herangehensweise richtig liegt, ist offensichtlich. HTC geh�rt zu den am schnellsten wachsenden der Branche, kontrollierte im vergangenen Jahr acht Prozent des weltweiten Smartphonemarktes und ist der weltweit gr��te Produzent von Telefonen, die auf Basis des Betriebssystems Windows Mobile arbeiten. Und dass man mehr als nur zusammenschrauben und l�ten kann, erf�hrt auch international die verdiente Aufmerksamkeit. Zuletzt wurde HTC beim gr��ten Technologiewettbewerb der Welt, dem Plus X Award, zur �Most Innovative Brand 2009� im Bereich Telekommunikation gek�rt.

Der Trend, zunehmend auf eigene Ideen und Marken zu setzen, Forschung und Kreativit�t an die Stelle blo�er Produktion zu stellen, erf�hrt auch auf politischer Ebene den n�tigen R�ckenwind. Die Landesregierung in Taipeh unterst�tzt die heimischen Unternehmen in ihrem Bem�hen, den eigenen Namen global zu etablieren. Man will nicht l�nger nur der verl�ngerte Arm der Designer und Entwickler im Westen sein, sondern eigene Akzente setzen, damit neue M�rkte er�ffnen und Marktanteile erobern. Am Ende dieser Entwicklung k�nnte stehen, dass taiwanesische Produkte und Firmen dieselbe weltweite Anerkennung finden wie sie japanische und s�dkoreanische schon lange genie�en. Dass der Weg dorthin unter sich wandelnden �konomischen Vorzeichen nicht leicht wird, liegt auf der Hand. Aber Taiwans Wirtschaft scheint entschlossen, sich dieser Herausforderung zu stellen � seine Krallen hat der ostasiatische Tiger jedenfalls schon einmal ausgefahren.