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Der Bildungssektor gilt als einer der Hemmschuhe für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Thailand. Das allgemeine Niveau an Schulen und Universitäten muss ausgebaut werden; darüber hinaus existieren große Diskrepanzen zwischen Bildungseinrichtungen in Bangkok sowie im Rest des Landes. Als Resultat beklagen Unternehmen seit Jahren einen Mangel an Ingenieuren und Fachkräften. Erste Ansätze für eine duale Ausbildung und internationale Kooperationen könnten die Situation verbessern.
Das südostasiatische Land befindet sich nach Einschätzung von Experten derzeit an einem Scheideweg. Auf der einen Seite sind die ökonomischen Strukturen zu fortschrittlich und die Löhne der Beschäftigten bereits zu hoch, um noch als Standort für billige Massenherstellung einfacher Produkte auf breiter Ebene wettbewerbsfähig zu sein. Auf der anderen Seite sind die Fähigkeiten der Arbeitnehmer sowie die Investitionen in Forschung und Entwicklung noch nicht ausreichend entwickelt, um mit High-Tech-Volkswirtschaften wie Südkorea konkurrieren zu können.
Zahlreiche Bildungsexperten und Unternehmen fordern von der Regierung daher seit geraumer Zeit eine tiefgreifende Reform des Bildungssystems. Dieses ist überdies noch von einem starken Qualitätsgefälle zwischen der Hauptstadtregion um Bangkok und dem Rest des Landes geprägt. Darüber hinaus beklagen Wirtschaftsvertreter, dass passives Lernen noch zu sehr im Vordergrund der Lehreinheiten stehe. Kreative Lösungsansätze oder kritisches Denken würden deutlich zu wenig gefördert.
Auch ist das Ausbildungsniveau außer an einigen Eliteschulen und Universitäten nicht mit dem in Industrieländern vergleichbar. Unternehmen klagen seit Jahren über einen Mangel an gut ausgebildeten Technikern, Fachkräften und Ingenieuren. Verschärft wird die Situation dadurch, dass bei der Wahl der Studien- und Ausbildungszweige zuletzt ein Trend in Richtung Dienstleistungsfächer und Sozialwissenschaften zu beobachten war. Offiziellen Informationen zufolge zeigte sich die Zahl der Absolventen in technischen Berufen rückläufig. Fachkräfte werden im Regelfall "on the job" angelernt, eine Berufsausbildung wie in Deutschland ist kaum verbreitet.
Angesichts der konjunkturellen Aufschwungs im südostasiatischen Land seit 2010 häufen sich mittlerweile die Klagen aus zahlreichen Branchen über einen zunehmenden Mangel sogar bei gering qualifizierten Arbeitskräften. Obwohl rund 70 Prozent der thailändischen Arbeitnehmerschaft maximal Grundschul-Level oder unteres Niveau einer weiterführenden Schule aufweisen, schätzt der Industrieverband FTI (Federation of Thai Industries) den Nachfrageüberhang in diesem Bereich derzeit auf 500.000 Beschäftigte.
Vertreter der für Thailand sehr wichtigen Nahrungsmittelindustrie sind nach Zeitungsinformationen der Ansicht, dass in ihrem Sektor sogar mindestens eine Million Arbeitnehmer fehlen. Dringend notwendige Investitionen und Kapazitätserweiterungen seien unter den derzeitigen Bedingungen nur schwer möglich. Die Situation in der Bauindustrie bewegt sich gemäß Schätzungen des Branchenverbandes Thai Contractors Association in einer ähnlichen Größenordnung. Hintergrund hierfür ist unter anderem die abnehmende Geburtenrate. Thailand gilt als eine der am schnellsten alternden Gesellschaften in Südostasien.
Das 1. Halbjahr 2011 hielt weitere Negativnachrichten für die thailändische Berufs- und Bildungslandschaft vor. So brachte der landesweit durchgeführte Test O-Net (Ordinary National Education Test) zu Tage, dass thailändische Schüler unterdurchschnittliche Ergebnisse quer über nahezu alle Fächer hinweg aufweisen. Besonders schlecht waren die Resultate in wichtigen Bereichen wie Mathematik und Englisch.
Auch Unternehmensvertreter weisen in diesem Zusammenhang seit Längerem darauf hin, dass es in anderen Ländern der Region, wie Malaysia oder Philippinen, deutlich einfacher ist, englischsprachiges Personal zu rekrutieren. Im Regelfall verdienen Beschäftigte, die zumindest eine Fremdsprache sehr gut beherrschen, in Thailand circa 20 Prozent mehr als einsprachige Kandidaten.
Trotz eines beachtlichen Anteils der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,0 Prozent (2009) erreichte Thailand beim Ranking des renommierten Instituts IMD (Institut of Management Development) zuletzt lediglich Platz 47. Singapur gab hingegen nur 3,1 Prozent des BIP für den Sektor aus, lag aber auf der 13. Position. Die bestplatzierte Universität Thailands Chulalongkorn belegte in einer Analyse von Quacquarelli Symonds nur den 180. Platz aller vergleichbaren Bildungseinrichtungen weltweit.
Positiv ist hingegen die Entwicklung der internationalen Schulen, deren Zahl sich innerhalb des letzten Jahrzehnts auf gut 120 erhöht hat und von denen mehr als zwei Drittel im Großraum Bangkok operieren. Der Umsatz dieser Bildungseinrichtungen wird auf rund 20 Milliarden Baht (456 Mio. Euro, 1 Euro = 43,86 Baht, 3-Monatsmittel) pro Jahr taxiert. Im Regelfall wird an diesen Einrichtungen eine Ausbildung auf sehr hohem Niveau geboten und gleichzeitig das Interesse an interkulturellen Fähigkeiten gefördert.
Flankiert wird dieser Trend durch die zunehmende Nutzung moderner Kommunikationsmittel und internetbasierter Netzwerke durch thailändische Schüler und Studenten. Gleichzeitig zieht es immer mehr Thais zu Studienzwecken über die Landesgrenzen. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren verstärken. Allerdings bleibt dem Großteil der Bevölkerung dieser Bildungsweg aufgrund der vergleichsweise hohen Schulgebühren verschlossen. Auf der anderen Seite dürften in den kommenden Jahren die internationalen Verbindungen durch eine Zunahme an Mischehen zwischen Thais und "Farangs" (westlichen Ausländern) zunehmen, was wiederum eine neue Schicht westlich orientierter und mehrerer Sprachen mächtiger Arbeitskräfte hervorbringen sollte.
In einigen Bereichen sind thailändische Schüler und Studenten durchaus in der Lage, hervorragende Ergebnisse zu erzielen. So belegten Vertreter aus dem Königreich in den vergangenen Jahren Spitzenplätze bei verschiedenen internationalen Wissenschafts- und Technologiewettbewerben. Auch gilt die Integration von Frauen in Führungspositionen im weltweiten Vergleich als erstklassig, wie diverse Umfragen von Personalfirmen belegen. So sind gemäß einer Analyse des Unternehmens Grant Thornton derzeit 42 Prozent der Führungspositionen (Senior Management) in Thailand von Frauen besetzt.
Ebenso als Positivfaktor ist zu nennen, dass Firmen mittlerweile in Eigenregie dazu übergegangen sind, duale Bildungsprogramme zu implementieren, wie etwa die Gesellschaft B. Grimm seit 2010. Auch werden sich durch die zunehmende Integration der Gemeinschaft ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) neue Möglichkeiten ergeben. Ab 2015 ist dabei eine freie Arbeitsplatzwahl für die Berufsgruppen Ärzte, Krankenschwestern, Architekten, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer, Buchhalter und Gutachter vorgesehen. Allerdings wird sich dadurch auch der Druck auf lokale Firmen erhöhen, ihren Angestellten attraktive Bedingungen anzubieten, um eine Abwanderung in andere ASEAN-Staaten zu verhindern.
Der thailändische Markt für Bildungsdienstleistungen wurde zuletzt von der Behörde Export Promotion Department auf rund 70 Milliarden Baht taxiert. In Thailand gibt es derzeit 111 Universitäten, von denen 78 öffentliche Einrichtungen und 37 in privater Hand sind. Mehr als die Hälfte der Universitäten befindet sich in Bangkok. Thailand will sich wie in anderen Branchen auch im Bildungsbereich als regionales Zentrum etablieren. Die großen Universitäten Thailands suchen daher verstärkt Kooperationen mit Bildungseinrichtungen im Ausland, um auf diese Weise internationale Lehrprogramme anbieten zu können.
Auch mit Universitäten in Deutschland gibt es bereits mehrere Ansätze für eine Zusammenarbeit, die nach Auskunft von Branchenexperten an Intensität zunimmt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Ausbildung von Ingenieuren. Deutsche Lieferanten von Lehrmitteln und Labortechnik schätzten bei Branchenevents in der Vergangenheit die Absatzchancen für ihre Produkte als positiv ein. "Made in Germany" erfreut sich großer Beliebtheit in Thailand, wobei vor allem der hohe Sicherheitsstandard der Erzeugnisse ein wichtiges Verkaufsargument darstellt. Auch die im Regelfall drei- bis viermal höhere Lebensdauer im Vergleich zur Konkurrenz aus anderen Ländern spiele in diesem Zusammenhang eine große Rolle.