BERLIN. Bei der mit großer Verve geführten Debatte um den (Wieder-)Aufstieg asiatischer Wachstumszonen wird ein Teil des Kontinents ein wenig stiefmütterlich behandelt, den man ehedem als "Hinterindien" bezeichnet hat. Die Rede ist von den insgesamt zehn Staaten, die unter dem Rubrum Südostasien gefasst werden.
Zwar ist deren Bedeutung im Vergleich zu Indien, China und Japan auf den ersten Blick eher nachrangig. Allerdings vernachlässigt die losgelöste Betrachtung der einzelnen Staaten und ihrer jeweiligen (höchst unterschiedlichen) wirtschaftlichen Potentiale das Faktum, dass die regionale Integration zwischen Yangon und Manila, zwischen Hanoi und Jakarta in letzter Zeit signifikante Fortschritte gemacht hat, sodass der Fokus zunehmend auf die ASEAN-Region mit ihren 560 Millionen Einwohnern als Ganzes gelegt werden muss. Hinzu kommt, dass die ASEAN-Staaten für die genannten asiatischen Schwergewichte sowohl als Absatzmarkt als auch als Produktionsstandort immer wichtiger werden. Schon allein aus diesem Grund ist eine intensivere Beschäftigung mit ihnen angezeigt.
Das Ziel des neuen Buches von Karl Pilny liegt in diesem Sinne einmal darin, Faktenwissen über die Region zu vermitteln. Zum anderen soll den dort befindlichen Staaten auch ein Stück weit zu diskursiver Gerechtigkeit verholfen werden. Pilny geht mit dem ihm eigenen Gespür für neue, zumindest auf dem Buchmarkt durchschlagende Trends davon aus, dass den altbekannten Tigerstaaten in absehbarer Zeit weitere wirtschaftliche Aufsteiger folgen werden. Dabei charakterisiert er Südostasien als eine von vielen Unterschieden und Widersprüchen geprägte Weltgegend, in der sich gleichwohl eine staatenübergreifende affine Werthaltung als Fundament für ein kollektives Vorgehen herausgebildet hat. So sei vor dem Hintergrund einer Hegemonie der konfuzianischen Ethik allenthalben ein pragmatischer Umgang mit Religion, eine Wertschätzung der Familie, ein Streben nach Harmonie und Konsens sowie ein hohes Leistungsethos gepaart mit einer frugalen Lebensführung anzutreffen. Daneben haben die aus den verschiedenen historischen Epochen stammenden indischen und chinesischen Minderheiten untereinander feinmaschige Wirtschaftsverbindungen gesponnen, die ökonomische Austauschprozesse in der Region wesentlich erleichtern.
Nachdem Staaten wie Malaysia, Thailand und vor allem Singapur in der Vergangenheit bereits ansehnliche Wachstumserfolge erzielen konnten, spricht für Pilny vieles dafür, dass nun nach Vietnam auch Indonesien und die Philippinen in den Rang von Wachstumsökonomien aufsteigen. Der Autor begründet diese Einschätzung mit dem Verweis auf unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungsphasen, in denen sich die Länder befinden, woraus sich Komplementaritäten zum allgemeinen Vorteil ergeben: Während Erstgenannte mit fortgeschrittenen Technologien und entwickelten Verbrauchermärkten aufwarten können, verfügen Letztgenannte über geringe Arbeitskosten, sodass entsprechende Kooperationen förmlich auf der Hand liegen.
Mittel- und langfristig geht Pilny davon aus, dass sich Südostasien, dessen aggregierte Handelsdaten schon heute diejenigen von Indien klar übertreffen, bei einem Fortschreiten der integrativen Tendenzen hin zu einem Handelsblock neben Süd- und Ostasien als drittes asiatisches Gravitationszentrum wird etablieren können. Diesen Umstand angesichts der unvermeidlichen Chinindia-Elogen ins Bewusstsein zu bringen, ist der Verdienst des Buches.
Buchdaten
Buchtitel - Tiger auf dem Sprung
Buchautor - Karl H. Pilny
Verlag - Campus Verlag
Ort und Jahr - Frankfurt, 2008
ISBN - 359338678X
Preis - nicht lieferbar