BERLIN. Die endlose Euro-Malaise ist gleich doppelt betrüblich. Einmal zeigt sie bis zum Verdruss, mit welch unfassbarer Leichtfertigkeit dieses Jahrhundertprojekt angegangen wurde und von welchen Bonsai-Politikern Europa derzeit regiert wird. Zum anderen verstellt die Dauerdebatte über griechische und andere Defizite den Blick auf die viel bedeutsamere Prüfung unserer Tage.
Die besteht zweifellos in einer angemessenen Reaktion auf die historischen Umwälzungen, die in weiten Teilen Asiens gerade erst richtig Fahrt aufgenommen haben. Hierzu hört man von unseren Repräsentanten ? abgesehen von Phrasen und Plattitüden ? kaum etwas Substanzielles. Auch an der Publikationsfront hat man sich hauptsächlich damit begnügt, Auflage fördernde Schauergeschichten von der ?asiatisch/chinesischen Gefahr? zu servieren. Wobei es zugegeben auch nicht ganz einfach ist, zwischen Alarmmeldungen und Rekordparaden eine maßvolle Brennweite beim Betrachtungsobjektiv einzustellen.
Durch dieses Manko hat sich der ehemalige Europa-Beamte und kurzzeitige Bundesminister Manfred Lahnstein motiviert gefühlt, einige Überlegungen zur Brisanz der asiatischen Herauforderung anzustellen. Um es vorweg zu nehmen: das Vorhaben ist im Großen und Ganzen gelungen. Zwar werden weder weltbewegende Neuigkeiten präsentiert, noch offeriert der Autor ein geniales Patentrezept. Aber allein der angenehm sachliche Tonfall ist eine Wohltat in Zeiten penetrant angepriesener ?Aufklärungsbücher?. Insgesamt liest sich das Buch als genau das, was es ist: die Überzeugungstat eines neugierigen Laien. Das ist keinesfalls abwertend gemeint, sondern die Basis dafür, dass die Ausführungen leicht nachvollziehbar, aber gehaltvoll sind. Die zentralen Bedingungen für das Entwickeln einer gemeinsamen europäischen Antwort ? denn nur eine solche sei realistisch ? liegen für Lahnstein in einer Überwindung der gepflegten westlichen Selbstgefälligkeit und in dem Bemühen, zu differenziertem Wissen über die Entwicklungen in Asien zu gelangen. Die Haltung, dass dabei stets nur vorläufige Einschätzungen möglich sind, imprägniert ihn gegen die Versuchung, sich als ?Weltweiser? aufzuspielen. Dies ist etwas, was man vielen Asien-Autoren nicht unbedingt bescheinigen kann. Jedenfalls zerlegt Lahnstein, nachdem er eine Art kontinentale SWOT-Analyse vorgenommen, die Chancen des asiatischen Aufstiegs herausgearbeitet und einen Blick auf die verschiedenen geistig-moralischen Orientierungen geworfen hat, Asien in vier Untereinheiten (Japan, China, Indien, Südostasien). Diese werden etwas statisch einer historisch angelegten Betrachtung unterzogen, wobei der Autor bestrebt ist, neben ökonomischen auch (sicherheits-)politische Hintergründe näher zu beleuchten.
Bei den Konsequenzen der asiatischen Dynamik fordert Lahnstein, bei Prognosen die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren. Viele der kursierenden Horrorszenarien seien schlicht Ergebnis einer unterkomplexen Betrachtungsweise. Dann komme es darauf an, weiter für absolute Zuwächse zu sorgen. Dabei solle man die europäischen Kräfte weiter bündeln, den eigenen Werten treu bleiben und offen auf die asiatischen Akteure zugehen. Hier komme als wichtigstem EU-Land speziell der Bundesrepublik eine Führungsrolle zu.
Wie gesagt, sonderlich bahnbrechend ist das alles nicht, und mitunter wirkt der Text ein wenig zusammengestoppelt, aber unterm Strich erhält der Leser eine Fülle von Informationen, die durch einen plausiblen Gesamtfaden miteinander verbunden sind.
Manfred Lahnstein, Die asiatische Herausforderung, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 352 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3-455-50269-5
Buchdaten
Buchtitel - Die asiatische Herausforderung
Buchautor - Manfred Lahnstein
Verlag - Hoffmann und Campe Verlag
Ort und Jahr - Hamburg 2012,
ISBN - 978-3-455-50269-5
Preis - € 22,99