BERLIN. Der Titel ist schon reichlich martialisch. Ein neuer Kalter Krieg? Diesmal der Westen versus China? Da gilt es schon einmal, entsprechende Notfallreserven anzulegen. Mindestens. Nach dem Durchlesen der ersten Seiten stellt sich die Sache dann doch nicht ganz so schicksalhaft-dramatisch dar. Da sind dem Verlag wohl die PR-Gäule durchgegangen
Dem Manager-Magazin-Journalisten Wolfgang Hirn geht es primär darum, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass der Aufstieg Chinas insbesondere den Westen vor eine strategische Herausforderung allererster Güte stellt. Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, hat für Hirn mit dem Zusammentreffen zweier Trends zu tun: Einerseits präsentiert sich ein bärenstarkes China mit hohen Wachstumsraten, anhaltenden Exporterfolgen und einer prall gefüllten Devisenkammer. Auf der anderen Seite stehen ein Amerika, das den Zenit seiner Macht überschritten hat und sich in der historischen Abwärtsbewegung befindet sowie ein weltpolitisch eher desinteressiertes Europa, das vollauf damit beschäftigt ist, sich aus dem Sumpf der Eurokrise zu befreien. Gemein haben der alte und neue Westen, dass sie auf riesigen Schuldenbergen hocken.
Aber anstatt sich möglichst intelligent mit dieser neuen Weltkonstellation auseinanderzusetzen, verfallen die USA lediglich in altbekannte Handlungsmuster und bauen ihre militärische Präsenz in Asien aus, was wiederum bei den Chinesen Einkreisungswahrnehmungen hervorruft. Demgegenüber leisten sich Europa und speziell Deutschland den Luxus, China rein unter außenwirtschaftlichen Aspekten zu betrachten. Beide Herangehensweisen könnten sich bald rächen. Denn für Hirn ist ein ?Mehrfrontenkrieg? im Gange, bei dem China in verschiedenen Bereichen systematisch und beharrlich um Positionsvorteile ringt. Dazu gehören neben Handels-, Finanz- und Währungsfragen auch Auseinandersetzungen in den Sektoren Technologie, Rohstoffe und Cyberspace. Ob man das Ganze nun ?Krieg? nennen muss, sei dahingestellt, aber diese Konflikte dürften sich künftig definitiv weiter zuspitzen.
Dankenswerterweise verzichtet Hirn darauf, wohlfeiles China-Bashing zu betreiben, sondern weist auf dessen legitimes Ziel hin, seine Interessen bestmöglich durchzusetzen. So unerquicklich sich dies alles anhört, eine große Eskalation ist für den Autor nicht zwangsläufig. Hier sei vor allem der Westen in der Pflicht, der sich zunächst einmal der gewandelten Kräfteverhältnisse hinreichend bewusst werden muss, was ausdrücklich an die Adresse der USA geht. Auch wenn man mit guten Gründen infrage stellen kann, dass das chinesische Mischsystem aus Plan- und Marktwirtschaft auch langfristig erfolgreich sein wird, so ändert dies wenig an der von Hirn konstatierten weltpolitischen Grundbewegung. In jedem Fall ist die derzeitige Mixtur aus Arroganz und Ignoranz wohl kaum als tragfähige Strategie zu bezeichnen. Im Kern empfiehlt Hirn den USA, China mittels Kooperationsofferten einzuhegen, wobei Europa die Rolle des fairen Vermittlers einnehmen und zur Mäßigung auf beiden Seiten beitragen sollte. Not tue vor allem der Aufbau einer asiatischen Sicherheitsarchitektur nach europäischem Vorbild. Das hört sich alles sehr vernünftig an, es fragt sich nur, ob die Europäer bereit dazu sind, aus dem amerikanischen Schatten herauszutreten und die Leisetreterei gegenüber China zu beenden.
Buchdaten
Buchtitel - Der nächste kalte Krieg
Buchautor - Wolfgang Hirn
Verlag - S. Fischer Verlag
Ort und Jahr - Frankfurt, 2013
ISBN - 978-100304131
Preis - € 19,90