BERLIN. Zuletzt ist in der Wirtschaftspresse viel darüber spekuliert wurden, wie es in der Volksrepublik wirtschaftlich weitergehen wird. Hat das Riesenreich nun seinen Wachstumshöhepunkt überschritten oder war Mitte 2013 lediglich eine vorübergehende Schwächeperiode zu beobachten? Als interessierter Zeitungsleser konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hierbei vornehmlich vorgefertigte Meinungen geäußert werden, die sich primär aus persönlichen Emotionen zu China und seinem System speisen.
Diese Einschätzung findet dadurch Bestätigung, dass der Gesamttenor je nach aktuellen Quartalszahlen zwischen beiden Lesarten hin- und herschwankt. Diese Unübersichtlichkeit schreit geradezu nach einem analytischen Großdenker, der die einzelnen Puzzlestücke gewissenhaft ordnet, ohne sein Urteil von individuellen Vorlieben trüben zu lassen. Ein solcher ist zweifelsohne der Nobelpreisträger für Ökonomie Ronald Coase, der mit seiner Transaktionskostentheorie Weltruhm erlangte. Gemeinsam mit Co-Autor Ning Wang versucht Coase den Grundlagen des chinesischen Wirtschaftswunders auf die Spur zu kommen, um auf dieser Basis etwas über die ökonomische Zukunft des Landes aussagen zu können.
Wagt man sich an Prognosen über den Fortgang eines komplexen historischen Prozesses wie den Übergang vom kommunistischen System zum Kapitalismus in China, wird man sich akribisch mit den einzelnen Wegmarken dieses Vorgangs auseinandersetzen müssen. Genau das haben Coase und sein Mitstreiter en détail getan und dabei einige aufschlussreiche Resultate zu Tage gefördert. Die zentrale These des Buches lautet, dass die Deng-Reformen Ende der 1970er Jahre nicht ? wie gemeinhin angenommen ? einen bewussten Bruch mit der maoistischen Vergangenheit darstellten, sondern weiter dem Ziel einer sozialistischen Modernisierung folgten. Nur war man angesichts der katastrophalen Folgen der diversen Mao-Kampagnen zum Schluss gekommen, dass ein Strategiewechsel zur Erreichung dieses Ziels nötig sei und man auf (ergänzende) Marktreformen statt auf Klassenkampf setzen müsse. Der Planwirtschaft wurde indes weiter Vorrang eingeräumt und der Weg in den Kapitalismus explizit ausgeschlossen. Dass man heute aber doch private Unternehmen und entfesselte Marktkräfte in China antrifft, hat für die Autoren mit eigendynamischen Entwicklungen und unintendierten Folgen getroffener Entscheidungen zu tun.
Der eigentliche Wendepunkt der chinesischen Markttransformation lag demnach im Jahr 1992 als Deng im Zuge einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise die Intensivierung der Reformen anregte, wobei speziell die Stimulierung eines regionalen Wettbewerbs China zu einem ?riesigen Wirtschaftslabor? gemacht hat. Die Brücke zur aktuellen China-Debatte kann anhand der Erkenntnis geschlagen werden, dass die Bereitschaft von Deng und seinen Epigonen zum fortgesetzten Experimentieren eine zentrale Voraussetzung des chinesischen Wirtschaftsbooms gewesen ist. Will man weiter wachsen und eine internationale Innovationsführerschaft einnehmen, muss diese Form des offenen Lernens weiter praktiziert werden. In dem Maße aber, indem China in wissensbasierte Wirtschaftssparten vordringt, wird man den Bürgern ganz neue Freiräume einräumen müssen. Nötig wird die Etablierung eines ?Marktes der Ideen?, der aber den Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei tendenziell infrage stellen würde. Exakt an dieser Stelle wird sich die Zukunftsfähigkeit des chinesischen Modells entscheiden.
Buchdaten
Buchtitel - Chinas Kapitalismus. Weg ohne Plan und Zukunft?
Buchautor - Ronald Coase / Ning Wang
Verlag - Schäffer-Poeschel Verlag
Ort und Jahr - Stuttgart 2013
ISBN - 978-3791032665
Preis - € 29,95