Ja, wenn es doch so einfach wäre. Da gibt es ein riesengroßes Land mit ebensolchen Potenzialen, das aber weit davon entfernt ist, seine Möglichkeiten zu nutzen. Die letzte Regierung war ein Totalausfall und die lange aufreizend selbstbewusste Elite ist von herben Selbstzweifeln befallen. Dann betritt ein Mann die Weltbühne, der sich als epochaler Erneuerer inszeniert und ein neues goldenes Zeitalter wie zuzeiten der Guptas verspricht. Die Business Community spendet begeistert Applaus und malt wieder grandiose Wachstumsgemälde. Die Rede ist natürlich von Indien und dessen Neu-Premier Narendra Modi. Der Ausgang seiner Sanierungsoperation ist offen. Wirft man einen klaren Blick auf die indische Lage, spricht aber nur wenig für einen großen und nachhaltigen Aufbruch.
Nun sollte man allerdings fair sein und abwarten, welche Maßnahmen Modi in den nächsten fünf Jahren im Detail in Angriff nehmen wird. Vielleicht gelingt es ihm und seiner Bharatiya Janata Party (BJP) ja tatsächlich den indischen Knoten zu durchschlagen und an den diversen Reformbaustellen substanziell voranzukommen. Dass das dynastische System des Indian National Congress (INC) an ein historisches Ende gekommen ist, ist jedenfalls mehr als offenkundig. Die jahrzehntelange strukturelle Übermacht des schillernden und legendenumrankten Nehru-Gandhi-Clans scheint final vorüber zu sein. Endlose Korruptionsskandale und ein anhaltend hoher Preisdruck haben dem INC den letzten Rest an Glaubwürdigkeit gekostet und zur politischen Restgröße degradiert. Der für indische Verhältnisse erdrutschartige Sieg der BJP spricht Bände: Erstmals seit 1984 ist es wieder einer Partei gelungen, eine absolute Mehrheit der Stimmen bei den Bundeswahlen zu erringen. Allerdings sind bei einer Betrachtung des BJP-Resultats die Besonderheiten des indischen Mehrheitswahlrechts zu beachten. Denn faktisch hat die BJP nur 31% der abgegebenen Stimmen errungen, was angesichts der enorm zersplitterten politischen Landschaft in Indien gleichwohl ein bemerkenswerter Erfolg ist. Zusammen mit den Bündnispartnern in der National Democratic Alliance (NDA) bringt man es auf 336 von 543 Sitzen in der Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen Parlaments. Auch die höchste Wahlbeteiligung in der indischen Geschichte von 66,4% der 815 Millionen Wahlberechtigten spricht für einen großen Wunsch nach Veränderung in der Bevölkerung. Insofern ist es grundsätzlich gut, dass nun wieder eine andere politische Kraft die Möglichkeit hat, ihre Vorstellungen umzusetzen ? eben das ist die Essenz der Demokratie.
Der Traum vom starken Mann
Was aber etwas misstrauisch stimmen sollte, ist die vielerorts wahrnehmbare Erleichterung darüber, dass nun ? endlich ? jemand am Ruder ist, der nicht lange fackelt, von seiner Mission augenscheinlich restlos überzeugt ist und seine Ideen auch gegen Widerstand rigoros durchsetzt. Dies scheint speziell den Konzernlenkern und Chefredakteuren weltweit zu imponieren, denn so sind sie es schließlich auch in ihren Institutionen gewohnt. Ihr Motto lautet: Solange nur Willen und Engagement stimmen, lässt sich ausnahmslos jedes Problem unter der Sonne einer erfolg- und ertragreichen Lösung zuführen. Je komplizierter und unübersichtlicher die Welt insgesamt wird, desto größer wird offenbar die Sehnsucht nach Rosskuren und großen Befreiungsschlägen. Der Verweis auf widerstrebende Interessen und Ziele ist in dieser Weltsicht lediglich eine Ausrede für bequemes Nicht-Handeln. Was Indien betrifft, heißt es nun gern, Modi müsste jetzt halt einfach ?liefern?. So als ob Politik mit den Methoden eines Logistikunternehmens funktionieren würde. Es ist jedoch sehr fraglich, ob man mit so einem Holzhammer-Ansatz den vielfältigen und hochkomplexen Herausforderungen auf dem Subkontinent gerecht werden kann.
Ein Problem ist dabei nicht nur die dubiose Vergangenheit Modis, sondern insbesondere auch der Unwillen, die tieferen strukturellen Problemlagen Indiens zur Kenntnis zu nehmen. Was die ideologische Prägung des neuen indischen Premiers betrifft, können keine Zweifel bestehen, dass er ein glühender Anhänger der national-religiösen, stark exklusiven und zumindest latent islamophoben Hindutva-Ideologie ist. Entsprechend sehen einige Beobachter schon die Ära eines ?weichen Faschismus? in Indien heraufziehen. Dies ist wohl eine etwas arg überzogene Sichtweise. Denn aller Voraussicht nach ist nicht damit zu rechnen, dass etwa die paramilitärische Freiwilligenorganisation Rashtriya Swajamsevak Sangh (RSS) als extremistischer Kampf- und Kadertrupp der BJP in der Lage sein wird, ihre radikale Agenda 1:1 in Regierungspolitik umzusetzen. Wie um etwaige Bedenken von Beginn an zu zerstreuen, hat Modi unmittelbar nach Amtsantritt eine bemerkenswerte Charmeoffensive in Richtung Pakistan und China gestartet und zudem betont, ein Premier für alle Inder sein zu wollen.
Die Zwänge des Amtes
In jedem Fall werden die Spitzen der indischen Wirtschaft, zu denen Modi zum Teil exzellente Beziehungen unterhält, auf eine deutliche Mäßigung dringen. Auch ist davon auszugehen, dass ihn die Würde des Amtes und die Einbindung in den Kreis der Großen der Weltpolitik zu einem relativ moderaten Kurs bewegen werden. Insbesondere in einer Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zur VR China liegen für Indien viele Chancen. Angesichts des sich zuspitzenden Kampfes um Einflusszonen in Asien kann Indien sich sehr teuer verkaufen. Inwieweit Modi aber langfristig in der Lage sein wird, die Fundamentalisten in seinem Lager in Schach zu halten, ist eine offene Frage. Insgesamt lässt sich ein Rechtsruck in der indischen Gesellschaft nicht leugnen. Frappierend ist etwa, dass vor allem Erstwähler und Akademiker ihre Stimme der BJP gegeben haben. Demgegenüber sind die Zustimmungswerte für Modi in den Schichten der Unterprivilegierten und Ausgeschlossenen wesentlich geringer. Sie werden wissen, warum sie der vor allen Dingen mittelständisch geprägten BJP mit Reserve begegnen. Bei den beiden erstgenannten Gruppen kann das Votum für Modi klar als Sorge um die eigene ökonomische Zukunft interpretiert werden. Im Zuge der indischen Boomjahre wurden hohe Erwartungen geweckt, die zuletzt bitter enttäuscht wurden und zur gnadenlosen Abwahl des Nationalkongress geführt haben.
Der Wunsch nach einem größeren Wohlstand ist an sich gut verständlich und dürfte auch in Zukunft ein zentraler Antriebsmotor für dringend benötigte Reform- und Wachstumsanstrengungen sein. Darüber hinaus hat Indien in den vergangenen Jahren aber eine übersteigerte Materialismus-Welle erfasst, die mehr und mehr mit den realen Gegebenheiten in Konflikt gerät. Infolgedessen werden die Auseinandersetzungen um die verfügbaren Ressourcen mit größerer Härte geführt. Hierin liegt nach Auffassung der beiden Journalisten und Buchautoren Georg Blume und Christoph Hein auch eine Ursache für die zunehmende Brutalisierung der indischen Gesellschaft, wobei vor allem Frauen, Kinder und Kastenlose zu den Hauptleidtragenden gehören. Der besagte Materialismus hat zu einer Abwertung von Menschen geführt, die keinen unmittelbaren ökonomischen Nutzen haben. Es steht zu befürchten, dass Modi bei einem ausbleibenden Aufschwung die bestehenden Ressentiments gegen Randgruppen und Minderheiten zur Absicherung seiner Popularität weiter anfachen wird. Bedenklich muss bspw. stimmen, dass der Anteil der muslimischen Abgeordneten im neu gewählten Parlament bei lediglich 4% liegt.
Die Modinomics sollen es richten
Zugleich sind es die anspruchsvollen indischen Mittelschichten, die sich von den Einflüssen und Zumutungen der Globalisierung überfordert fühlen und sich nach den alten, übersichtlicheren Zeiten.