Die weltweite "Renaissance" des Schienenverkehrs und unsichere Aussichten auf dem heimischen Markt sorgen auch in Japan für Betriebsamkeit. Besonders Projekte für Hochgeschwindigkeitszüge in den USA locken. Die Regierung öffnet der heimischen Industrie Türen und sorgt für günstige Finanzierungskonditionen. Sie hofft auf eine enge Kooperation der interessierten Institutionen; allerdings könnte sich die organisatorische Zersplitterung der Branche als problematisch erweisen.
Die Aussichten sind verlockend. Um jährlich 2,0 bis 2,5 Prozent auf etwa 154 Milliarden Euro soll der weltweite Eisenbahnmarkt bis zum Jahr 2016 wachsen. Dies geht aus einer Studie hervor, die von der Beratungsfirma Roland Berger Strategy Consultants und der UNIFE, der europäischen Eisenbahnvereinigung, im Herbst 2008 veröffentlicht wurde. Besonders Schwellenländer wie die VR China, Brasilien oder Indien haben große Ausbaupläne. Doch auch die USA und Großbritannien wollen ihr Eisenbahnnetz in den kommenden Jahren erheblich erweitern. Der Aufbau von Hochgeschwindigkeitsverbindungen spielt in diesem Rahmen eine wichtige Rolle.
Japan verfolgt diese Entwicklungen mit großer Aufmerksamkeit und sieht sich im Prinzip für den sich verschärfenden internationalen Wettbewerb um die Aufträge gut gerüstet. Das Land hat weltweit als erstes bereits 1964 mit dem Shinkansen einen Hochgeschwindigkeitszug in Betrieb genommen und das Netz in den Folgejahren systematisch ausgebaut. Auch im Hinblick auf die Pünktlichkeit und Sicherheit seiner Eisenbahnen erhält Japan immer wieder Bestnoten.
Trotz dieser positiven Faktoren, mit denen das Land international punkten könnte, spielt der Export von Eisenbahntechnik bislang nur eine untergeordnete Rolle. Zwar ist es zum Beispiel in Taiwan 1997 gelungen, den Auftrag für den Bau einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke von Taipeh nach Kaohsiung einzuholen; auch wurden Triebwagenzüge in eine Reihe von Ländern verkauft. Doch bislang bot der Ausbau der inländischen Verbindungen und hier vor allem des Shinkansen-Netzes der Branche genügend Geschäftsmöglichkeiten. Die Statistiken des Ministeriums für Land, Infrastruktur und Transport (MLIT) zeigen dies: Im Fiskaljahr 2008 (1.4. bis 31.3.) wurden zum Beispiel neue Lokomotiven und Waggons im Gesamtwert von 316,5 Milliarden Yen (2,66 Mrd. Euro, 1 Euro = 118,80 Yen, 3-Monatsmittel) geordert; nur 3,5 Prozent der Bestellungen kamen aus dem Ausland. Bei Signal- und Sicherheitsausrüstungen lag der Exportanteil sogar nur bei 2,8 Prozent.
Auch in den kommenden Jahren wird die Branche Impulse vom Ausbau des inländischen Eisenbahnnetzes erhalten; ob allerdings alle Projekte wie vorgesehen verwirklicht werden, ist aus wirtschaftlichen und finanziellen, aber auch demografischen Gründen unklar. Das ehrgeizigste Projekt ist der Bau einer Magnetschwebeverbindung von Tokio nach Nagoya. Sie soll bis 2027 entstehen. Die Kosten werden auf etwa 5.000 Milliarden Yen veranschlagt und vom Betreiber, der Central Japan Railway (JR Central), vollständig finanziert. Ferner gibt es unter anderem für den Shinkansen und für den Schienenverkehr in den Städten einige Neubaupläne.
Allerdings ist angesichts der generellen Unwägbarkeiten des Inlandsmarktes die Erschließung neuer Geschäftsfelder im Ausland unabdingbar. Dabei kann Japan schon Erfolge vermelden: Mitte April 2010 beschloss zum Beispiel Vietnam, beim Bau einer neuen Linie von Hanoi nach Ho Chi Minh City die Shinkansen-Technologie einzusetzen. Die endgültige Entscheidung über den Zuschlag dürfte jedoch nicht zuletzt davon abhängen, welche Hilfen Japan bei der Finanzierung des 56-Milliarden-US$-Projekts leistet.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Regierung generös erweist. Denn wie es in einem Entwurf des Wirtschaftsministeriums (METI) zur Entwicklung der japanischen Industriestruktur von Ende Mai 2010 heißt, gilt die Eisenbahntechnik als "strategischer" Infrastrukturbereich und als wichtiges Exportfeld der Zukunft, das in enger Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft erschlossen werden soll. Die Regierung übernimmt dabei unter anderem die Rolle des "Türöffners": So fuhr Verkehrsminister Maehara im Mai 2010 nach Washington, um die Bedingungen für den Kauf japanischer Eisenbahntechnik durch die USA zu erkunden. Außerdem will Tokio verschiedene Finanzinstrumente einsetzen. Entwicklungsländer sollen unter anderem Yen-Darlehen erhalten. Daneben hat Japan Ende April 2010 die Investitionsfinanzierung von Projekten in Industriestaaten durch die Japan Bank for International Cooperation (JBIC) auch auf den Eisenbahnsektor ausgedehnt.
Nach den Vorstellungen der Regierung in Tokio wäre bei der Bewerbung um Auslandsprojekte ein "All Japan"-Ansatz wünschenswert, bei dem Hersteller von eisenbahntechnischer Hardware sowie Beratungs- und Betreibergesellschaften miteinander zusammenarbeiten. Vorbild ist vor allem Frankreich: Dort sind die Staatsbahn SNCF als Netzbetreiber, die zur SNCF gehörende Firma Systra als Design- und Beratungsunternehmen und die Firma Alstom als Hersteller unter anderem von Zugmaterial, elektrischen Anlagen und Signalausrüstungen eng verbunden. Diese Allianz erleichtert internationale Bewerbungen und ist auch für potenzielle Kunden interessant, da sie sich einem einheitlichen Angebot gegenübersehen.
Im japanischen Eisenbahnsektor hingegen findet sich eine Vielzahl von Akteuren, und ob ein "All Japan"-Ansatz angesichts der Zersplitterung Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Züge und Waggons zum Beispiel werden unter anderem von Kawasaki Heavy Industries, Hitachi und Nippon Sharyo gebaut; auch Toshiba betätigt sich als Waggonbauer, befasst sich daneben aber auch mit Informations- und Elektroausrüstungen für Züge. Signaltechnik kommt häufig von Nippon Signal oder Kyosan Electric Manufacturing. Größte Betreibergesellschaften sind JR Central und die East Japan Railway (JR East). Sie übernehmen auch die Zugwartung.
Eine wichtige Funktion haben ferner die großen Handelshäuser. Sie akquirieren Projekte, koordinieren die Beschaffung und befassen sich auch mit der Finanzierung. Besonders Mitsui und Sumitomo sind im Eisenbahnsektor aktiv. Beim Vietnam-Projekt zum Beispiel hat Sumitomo die Federführung; beteiligt sind daneben Mitsubishi Heavy Industries, Kawasaki Heavy Industries und das Handelshaus Mitsubishi.
In Bezug auf Hochgeschwindigkeitszüge interessiert sich Japan vor allem für Projekte in den USA. Dort sollen in den kommenden Jahren 8 Milliarden US$ in den Bau von 13 Strecken investiert werden. JR Central und JR East werden sich voraussichtlich in einer Art Arbeitsteilung um verschiedene Projekte bewerben. Ein Grund ist, dass die Züge teilweise auf ganz neuen, teilweise auf schon bestehenden Gleisen fahren werden. JR Central hat vor allem Erfahrungen mit Neubaustrecken, im Gegensatz zu JR East jedoch wenig Know-how bezüglich des Einsatzes von Hochgeschwindigkeitszügen auf existierenden Trassen.
Vor diesem Hintergrund zielt JR Central mit seiner Shinkansen-Technologie unter anderem auf die Strecken Tampa-Miami sowie Los Angeles-Las Vegas und hofft ferner, mit dem Magnetschwebezug zum Beispiel beim Streckenprojekt von Washington nach Baltimore zum Zuge zu kommen. Um näher am Markt zu sein, hat JR Central für die Shinkansen-Technologie die Firma U.S.-Japan High Speed Rail und für den Magnetschwebezug die Firma U.S.-Japan Maglev gegründet. JR East will Presseberichten zufolge unter anderem Projekte in Kalifornien und im Großraum Chicago bearbeiten.
Der Wettbewerb um die Aufträge wird hart sein. Konkurrenten sind zum einen die sogenannten "Großen Drei" - Siemens, Alstom und Bombardier -, die zusammen etwa 60 Prozent des internationalen Eisenbahnmarktes kontrollieren. Ferner drängt auch China stark in den internationalen Markt. Das Land ist dabei, durch gezielte technologische Akquisitionen aus dem Ausland eine eigene schlagkräftige Eisenbahnindustrie aufzubauen.