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Asien Kurier  7/2010 vom 1. Juli 2010
Vietnam

Abgabenlast schadet der Kfz-Industrie

Lokale Industrie wenig wettbewerbsfähig. Bau eines "strategischen" Automobils diskutiert.

Von Dr. Stefanie Schmitt, Germany Trade & Invest in Hanoi

Vietnams Kfz-Markt wächst seit Jahren. Allerdings sind Prognosen schwierig - zu widersprüchlich erscheint die Abgaben- und Zollpolitik. Auch dürfte zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland den wenig wettbewerbsfähigen Inlandsfirmen zusetzen. Um den geringen Lokalisierungsanteil zu steigern und Kosten zu senken, erwägt das Ministry of Industry and Trade die Einführung eines "strategischen Modells". Angesichts der technischen Vorgaben ist das Projekt umstritten.

Eigentlich können sich Vietnams Autobauer nicht beklagen. Selbst im Krisenjahr 2009 wuchs der Kraftfahrzeugabsatz um 25 Prozent auf über 192.200 Fahrzeuge. Dessen ungeachtet ist die Zukunft der Branche mit einigen Fragezeichen behaftet. Zwar herrscht zweifellos großer Nachholbedarf. Ende 2009 kamen auf eine Bevölkerung von über 86 Millionen Menschen gerade einmal 1,5 Millionen Kfz. Denen standen laut Verkehrsamt knapp 29 Millionen motorisierte Zweiräder gegenüber. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1.064 US$ (2009) ist der Besitz eines Privatwagens nach wie vor ein Privileg. Deshalb wird das Gros der Bevölkerung zumindest kurz- und mittelfristig weiterhin Motorrad fahren, zumal ein neues Modell schon für umgerechnet 500 US$ zu haben ist.

Doch weder das geringe Einkommensniveau noch die schlechte Infrastruktur wirken sich derart nachdrücklich auf die Nachfrageentwicklung aus wie die Steuer- und Abgabenpolitik der verschiedenen im Kfz-Segment involvierten Ministerien und anderen Behörden. Je nach Interessenlage wird der Erwerb im steten Wechsel begünstigt und verteuert. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich der Aufbau eines Geschäftsplans speziell auch für Importeure als eine Art Lotteriespiel, da sich die Absatzsituation zwischen Bestellung im Mutterhaus und Auslieferung in Vietnam ganz erheblich geändert haben kann.

So profitierte die Branche 2009 erheblich von einer im Rahmen der Konjunkturmaßnahmen gewährten Reduktion der Mehrwertsteuer um 50 Prozent (befristet vom 1.2. bis 31.12.09). Viele Firmen hatten sogar Schwierigkeiten, die plötzliche Nachfrage zu decken, zumal das Jahr zunächst eher schlecht angelaufen war. Nach diesem Boom und nachdem die Mehrwertsteuer wieder auf das Ursprungsniveau von 10 Prozent angehoben sowie überdies die Registrierungsgebühren auf 10 Prozent landesweit (12 Prozent in Hanoi) erhöht worden sind, rechnen einige Automobilfirmen für 2010 mit Verkaufsrückgängen von 10 bis 20 Prozent. Andere gehen davon aus, dass sich die Kunden an das höhere Preisniveau gewöhnen, und versuchen, mit günstigen Finanzierungsangeboten gegenzusteuern.

Im 1. Quartal 2010 verkauften die 17 Mitgliedsfirmen der Vietnam Automobile Manufacturers' Association (VAMA) 11.355 Einheiten. Während der Pkw-Absatz um 69 Prozent gegenüber den ersten drei Monaten 2009 anzog, stiegen die Nutzfahrzeugverkäufe nur um 3 Prozent. Hauptgrund für die Diskrepanz sind die verschlechterten Finanzierungsbedingungen für Unternehmen.

Grundsätzlich befindet sich die lokale Automobilindustrie noch im Aufbau. Neben den rund 119.000 im Land montierten Fahrzeugen wurden trotz der immensen Zoll- und Gebührenaufschläge 2009 rund 73.000 Importfahrzeuge in Vietnam verkauft, so die Zollverwaltung. Diese sind mit Zollsätzen zwischen 77 und 80 Prozent belastet. Zuletzt war die Importsteuer zum 1.1.10 für Fahrzeuge mit Vierradantrieb und neun Sitzen sowie 2,5 Litern Hubraum um drei Prozentpunkte verringert worden. Kleinere Motorgrößen werden weiterhin mit dem alten Satz besteuert. Die Reduktion ist Teil einer Vielzahl von Liberalisierungsschritten, zu denen sich Vietnam im Zuge des WTO-Beitritts verpflichtet hat.

Auf den Preis aller Kfz wird außerdem die Sonderverbrauchsteuer (Special Consumption Tax, SCT) aufgeschlagen. Seit 1.4.09 beträgt diese für große Busse und Lkw 15 Prozent, für Minibusse 30 Prozent, für Pkw mit Motoren von 2 Litern Hubraum oder weniger 45 Prozent, für Pkw mit Motoren über 2 bis 3 Litern 50 Prozent und für Pkw mit Motoren über 3 Litern 60 Prozent. Hinzu kommen schließlich die Mehrwertsteuer von 10 Prozent sowie die Registrierungsgebühr von 10 Prozent (Hanoi 12%). Damit verteuert sich der Preis für ein Importfahrzeug um rund das 2,5-fache des Neuwagenpreises. Der günstigste in Vietnam erhältliche Porsche beispielsweise kostet in der Folge umgerechnet rund 200.000 US$.

Da ein Großteil der im Land gefertigten Fahrzeuge auf "completely-knocked-down"- (CKD-) Basis montiert wird, ist die Zulieferindustrie kaum leistungsstark. Mit Ausnahme weniger Teile, wie Batterien, Sitze oder Reifen, kommt alles aus dem Ausland. Angesichts der geringen Stückzahlen im Erstausrüstungsgeschäft lohnt sich eine lokale Fertigung zur Bedienung des Binnenmarktes kaum. Etwas besser sieht es bei Ersatzteilen aus. Im Nachrüstgeschäft sind die Stückzahlen naturgemäß größer. Allerdings beliefern viele Autobauer über Service-Stationen vor Ort ihre Kunden selbst mit Ersatzteilen. In freien Werkstätten werden oftmals Fälschungen angeboten.

Um den Lokalisierungsanteil zu erhöhen und zugleich das Handelsbilanzdefizit abzubauen, erwägt das Ministry of Industry and Trade (MoIT) die Wahl eines "strategischen Modells", dessen Herstellungszahl groß genug wäre, um den Aufbau einer Zulieferindustrie rentabel zu machen. Darüber hinaus will das Ministerium mit seinem Konzept die Branche darauf vorbereiten, dass die Einfuhrzölle für Automobile im ASEAN-Raum bis 2018 auf Basis des Free Trade Area Agreement (AFTA) auf 0 bis 5 Prozent gesenkt werden. Tatsächlich ist die vietnamesische Automobilindustrie alles andere als wettbewerbsfähig. Die Preise für lokal montierte Fahrzeuge liegen zum Teil erheblich über denen in anderen Ländern.

Im Gespräch als "strategisches Modell" ist ein Mehrzweckfahrzeug ("MPV") mit sechs bis neun Sitzen und einer maximal 1,5-Liter-Maschine sowie den Euro-2-Normen genügend. Gefördert werden soll das Fahrzeug über eine Reduktion der Sonderverbrauchsteuer auf 30 Prozent (statt 45 bis 60 Prozent). Dieser Satz könnte reziprok zum steigenden Lokalisierungsanteil herabgesetzt werden. Aus dem Finanzministerium ist noch keine Zustimmung erfolgt. Auch die Automobilindustrie gibt sich nach den schlechten Erfahrungen mit "strategischen Modellen" beispielsweise in Malaysia skeptisch.

In Vietnam kommt erschwerend hinzu, dass die Vorgaben auf kein bislang verfügbares Fahrzeug passen. Es erscheint unrealistisch, speziell für den kleinen Markt ein Fahrzeug zu entwickeln, das aufgrund der Vorgaben kaum exportfähig sein dürfte. Doch selbst für den Binnenmarkt erscheint das angedachte Modell nur bedingt geeignet. Auch in Vietnam geht der Trend zu Fahrzeugen mit weniger Sitzen. Überdies mache es wenig Sinn, mit "Euro-2" eine rückständige Technologie "strategisch" auf einen längeren Zeitraum festzuschreiben. Aus Sicht eines deutschen Firmenvertreters erscheint es daher aussichtsreicher, Möglichkeiten zu eruieren, wie der Lokalisierungsanteil mit anderen Mitteln nach oben gebracht werden kann.